Massive Spätfolgen auch bei milden Verläufen
UKE-Forscher untersuchen Langzeitfolgen von SARS-CoV-2-Infektion
Rund 60 000 Hamburgerinnen und Hamburger haben bisher eine SARS-CoV-2-Infektion überstanden. Doch längst nicht allen geht es wieder gut: Manche leiden unter teilweise massiven Spätfolgen der Virusattacke. Art und Umfang dieser Beschwerden sind unabhängig vom vorherigen Infektionsverlauf, wie eine Studie am UKE zeigt.
„Auch Patientinnen und Patienten, die einen sehr milden COVID-19-Verlauf hatten, zeigen teilweise noch Monate später Symptome wie Abgeschlagenheit oder Luftnot“, erklärt Studienleiter Priv.-Doz. Dr. Hans Klose, Chefarzt der Abteilung für Pneumologie in der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik. Im Rahmen der Studie, die im vergangenen Dezember startete, sollen Erscheinungsformen und Entwicklung von Spätfolgen bei 100 Erwachsenen über einen Zeitraum von zwei Jahren untersucht werden. Drei Patientengruppen werden dabei verglichen: schwere Erkrankungsfälle, bei denen eine intensivmedizinische Versorgung mit oder ohne künstliche Beatmung notwendig war, mittelschwere Verläufe, die einen Klinikaufenthalt erforderlich machten, sowie mildere Fälle, in denen Patienten ihre Infektion zuhause auskurierten.
Umfassende muskuläre Schwäche und Gewichtsverlust seien typische Folgen jeder längeren Beatmung im künstlichen Koma: „Die damit verbundenen Einschränkungen können durchaus ein Jahr dauern. Es erfordert oft viel Training, damit die Betroffenen zu ihrer früheren Form zurückfinden“, erklärt Dr. Jan K. Hennigs, Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie und Mitinitiator der Studie. „Davon unabhängig hat COVID-19 aber auch spezifische Nachwirkungen.“ Die große Bandbreite dieser Spätfolgen und deren Beharrlichkeit habe sie überrascht, so Hennigs.
Die Experten unterscheiden drei große Symptommuster, die getrennt, aber auch in Kombination auftreten können: Erschöpfung und Abgeschlagenheit (Fatigue); kognitive Einbußen wie Wortfindungsstörungen, reduzierte Merk- und Konzentrationsfähigkeit, schlechteres Kurzzeitgedächtnis, außerdem atmungsbezogene Symptome wie Kurzatmigkeit, Husten, Engegefühl in der Brust. Ursache der oft beobachteten Kurzatmigkeit ist eine Schwäche der Atemmuskulatur: „Insbesondere das Zwerchfell als stärkster Atemmuskel ist in seiner Kraft und Funktion eingeschränkt“, sagt Dr. Hennigs. Ein spezieller Test der Atemmuskelkraft könnte Klarheit schaffen. Bei der üblichen Untersuchungsroutine mit Lungenfunktionstest und Röntgenaufnahme lasse sich diese Schwäche jedoch nicht erkennen, „mit der Folge, dass viele Betroffenen als vermeintlich gesund durchgewunken werden.“
Weitere, oft langanhaltende Beschwerden gesellen sich hinzu, darunter Gelenkschmerzen, Einschränkungen von Geruchs- und Geschmackssinn, Kopfschmerzen. „Bereits im Vorfeld unserer Studie hat sich gezeigt, dass man tiefer schauen muss, um die komplexen gesundheitlichen Probleme der Patientinnen und Patienten zu verstehen“, betont Dr. Klose. „Viele der Symptome rangieren scheinbar am Rande der Einbildung. Wenn Phänomene wie Erschöpfung und Vergesslichkeit nicht in Massen aufträten, würden man die Betroffenen vielleicht nur für besonders sensibel halten. Doch so ist es nicht.“ Den Patient:innen Gehör zu schenken, sei daher ein wichtiger erster Schritt, bevor die Symptome klinisch und wissenschaftlich erfasst werden, so der Lungenspezialist. Die UKE-Studie werde in der Abteilung für Pneumologie koordiniert. Die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit Post-COVID-Beschwerden und die Untersuchung der Langzeitfolgen geht jedoch über die lungenärztliche Sicht hinaus, wie Dr. Klose betont. Spätfolgen von COVID-19-Erkrankungen, so sein Wunsch, sollten gemeinsam mit allen anderen involvierten Fachbereichen erforscht werden.
Abschließend hat der Lungenspezialist aber auch noch gute Nachrichten für alle Erkrankten: Zwar führen nach neuestem Kenntnisstand fünf Prozent der Infektionen mit SARS-CoV-2 zu Spätfolgen. Bisherige Studiendaten sowie die Beobachtungen aus der UKE-Lungenambulanz bieten jedoch Anlass zu vorsichtigem Optimismus, so Klose: „Bei den meisten Betroffenen scheint sich die Lungenfunktion mit der Zeit zu verbessern, und auch andere Beschwerden gehen zurück.“
Text: Ingrid Kupczik
Foto: Eva Hecht