Das große Zittern
Jürgen Broschart leidet an Parkinson. Das dauernde Zittern hatte den Wissenschaftsjournalisten lange Zeit im Griff. Erst ein Hirnschrittmacher gibt ihm die Kontrolle über seine Bewegungen und sein Leben zurück. – Auch Dieter Labahn kämpft täglich darum, trotz Parkinson Kurs zu halten; das ist mal mehr, mal weniger erfolgreich.
Parkinson kommt leise daher. Beinahe unbemerkt schleicht sich die Krankheit ein und versucht, Schritt für Schritt die Kontrolle über bewusste Bewegungen zu übernehmen. „Mir fiel auf, dass meine Hand häufig krampfte, wenn ich mir Notizen machte“, erinnert sich Jürgen Broschart, der bis vor Kurzem als Wissenschaftsjournalist arbeitete. Auch wunderte er sich über die anhaltenden Rückenschmerzen, für die er keine Erklärung findet.
Erst drei Jahre später wird der Tremor, das für Parkinson typische, unwillkürliche Zittern, deutlich. „Ich war fast froh über die Diagnose, weil ich nun Gewissheit hatte und wusste, dass sich die Krankheit gut mit Medikamenten behandeln lässt“, sagt Broschart, der die erste Zeit der Therapie als wahren Höhenflug erlebt. „Ich war voller Energie, komponierte Lieder und trieb wieder Sport“, erzählt er. Doch nach zwei Jahren ist das Zittern zurück – heftiger und unnachgiebiger denn je.
Nerven aus der Bahn
Parkinson hat viele Gesichter. Ihren Anfang nimmt die Krankheit in der schwarzen Substanz des Gehirns. Dort wird der Botenstoff Dopamin produziert, der hauptsächlich für die Steuerung bewusster Bewegungen verantwortlich ist. Bei Parkinson-Patienten sterben die Dopamin-produzierenden Zellen nach und nach ab. Dadurch geraten die weiterverarbeitenden Zellen ins Stottern und senden mal schwächere, mal heftigere Signale aus. Dies macht sich dann durch unkontrollierbare Muskelbewegungen bemerkbar, wie das Zittern oder eine zunehmende Steifheit bis hin zu völliger Erstarrung.
Als bei dem ehemaligen Flugzeugtechniker Dieter Labahn erste Anzeichen sichtbar werden, ist er von der Diagnose noch Jahrzehnte entfernt. „Schon als junger Mann verlor ich in manchen Momenten die Kontrolle über meine Mimik – mein Gesichtsausdruck erstarrte dann kurzzeitig zur Maske“, erinnert sich der heute 73-Jährige. Erst viel später schleichen sich bei ihm deutlichere Symptome wie bleierne Müdigkeit sowie Sprach- und Schluckstörungen ein – 2009 erhält er im UKE den Befund hypokinetischrigides Parkinson-Syndrom.
„Mit Tabletten habe ich die Krankheit mal besser und mal schlechter im Griff“, sagt Labahn. An guten Tagen kann er mit Freunden Tennis spielen und sprintet in Sekundenschnelle ans Netz. An schlechten übernimmt die Krankheit die Kontrolle und erschwert ihm Sprechen und Schlucken.
Hoffen auf ein Wunder
Jürgen Broschart gerät trotz Medikamenten wieder in die Fänge von Parkinson. Als das Zittern zurückkehrt, erhöht er zunächst die Tablettendosis – mit unangenehmen Folgen. „Ich fing plötzlich an, unkontrolliert zu zucken, oder schlief im Büro ein“, berichtet der 61-Jährige. Als er sich eines Tages mit Herzrasen auf dem Boden einer Zugtoilette wiederfindet, zieht er die Reißleine und reduziert die Medikamentenmenge. Mit der Konsequenz, dass das Zittern der rechten Hand und des Armes rasch durchgängig wird. „Es fühlte sich an, als zerrte ein ungezogenes Kind ständig an meinem rechten Arm und riefe: „Papa, Papa!“, schildert Broschart. Seine Bewegungen werden immer langsamer; alltägliche Handgriffe wie das Schließen eines Hemds dauern ewig. Bald kann er nur noch mit links schreiben. Dann setzt der Tremor auch dort ein. Seine letzte Hoffnung? „Ein geplantes Wunder namens ‚Tiefe Hirnstimulation‘ “, sagt der Wissenschaftsjournalist schmunzelnd. Dabei handelt es sich um einen Hirnschrittmacher, der die Nervensignale, die in seinem Kopf wild durcheinander feuern, wieder ordnen soll.
In einer elfeinhalbstündigen Operation führt ein 15-köpfiges Team um die UKE-Neurochirurgen Dr. Johannes Koeppen und Prof. Dr. Wolfgang Hamel je eine acht Zentimeter lange Elektrode in Jürgen Broscharts Hirnhälften. Die Elektroden werden über Kabel unter der Haut mit einem Stimulator in der Brust verbunden, von dem sie elektrische Impulse erhalten, um Fehlsignale im Gehirn gezielt auszugleichen. Da die Ärzte dafür Broscharts Reaktionen und Empfindungen benötigen, erlebt er den größten Teil des Eingriffs bei vollem Bewusstsein. „Mancher Impuls, den die Ärzte bei ihrer Arbeit in meinem Kopf testeten, verursachte ein unangenehmes Kribbeln im ganzen Körper. Bei anderen blieb mir einen Moment lang mitten im Satz die Zunge am Gaumen kleben. Aber dann spürte ich plötzlich, wie sich meine Hände, vor allem die rechte, endlich entkrampften.“
Leben im Zeitraffer
Nach der Operation fühlt sich Broschart, als hätte jemand die Uhren gestoppt. Die Tage erscheinen ihm länger, weil alles wieder schneller geht – das Aufstehen, Anziehen, Laufen. Manchmal sogar so schnell, dass es wehtut: „Als ich zum ersten Mal meinen Krankenhausspind öffnete, schlug ich mir prompt die Tür an den Kopf, weil ich die Bewegung gewohnheitsgemäß mit zu viel Kraft ausgeführt hatte“, erzählt er amüsiert. Doch ein halbes Jahr später, nach einer Rehabilitation für Parkinsonkranke, vielen Übungen sowie regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen im UKE, in denen die Neurologen den Stimulator optimal einstellen, hat Jürgen Broschart die Kontrolle über sein Leben zurück. „Ich fühle mich wie ein junger Hüpfer und kann sogar wieder Gitarre, Geige und Klavier spielen“, freut er sich.
Kontrolle ist auch für Dieter Labahn ein Schlüsselwort. „Mir ist es wichtig, mein Leben trotz Parkinson aktiv und selbstbestimmt zu führen“, sagt er und erinnert sich an einen Besuch, den er neulich im Kindergarten seines Enkels machte. „Wir haben zusammen Papierflieger gebastelt und ich habe den Kindern gezeigt, wie ein Flugzeug fliegt – wunderbar! Solange ich solche Dinge erlebe, bin ich glücklich.“
Text: Nicole Sénégas-Wulf
Fotos: Ronald Frommann