Himbeerherzen statt bitterer Pillen
Ein im wahrsten Sinne „herzliches“ Pilotprojekt von Klinikapotheke und Kinderonkologie: Statt der sonst üblichen bitteren Pillen sollen Kautabletten aus dem 3D-Drucker die Chemotherapie erträglicher machen – Form und Geschmack sind ungewöhnlich.
Text: Sandra Wilsdorf, Fotos: Eva Hecht
Sie sind rot, süß und schmecken nach Himbeeren: Kaubonbons, die in Wirklichkeit Medikamente sind. Sie sollen krebskranke Kinder vor der Übelkeit bewahren, die eine Chemotherapie üblicherweise begleitet. In der Kinderonkologie des UKE probieren Ärzt:innen aktuell aus, ob eigens in der UKE-Klinikapotheke hergestellte Kautabletten besser geeignet sind als die ansonsten verabreichten bitteren Medikamente. Das Besondere: Die Kautabletten stammen aus dem 3D-Drucker, können unterschiedliche Formen haben und werden als Stern, Gummibärchen oder auch als Herz gedruckt.
Inhaltlich unterscheidet sich der Wirkstoff nicht von der herkömmlichen Version, nur die Darreichungsform ist anders. Doch genau das macht den Unterschied: Denn gerade in der Kinderheilkunde stoßen Ärzt:innen und Pflegende bei der Medikamentengabe täglich an Grenzen. Weil es die meisten Wirkstoffe nicht als Tropfen oder Säfte gibt, müssen sie in der Regel auf Tabletten zurückgreifen. Die aber können viele Kinder nicht schlucken: „Einige der kleinen Patient:innen finden den Geschmack so furchtbar, dass sie sie nicht runterbekommen. Für andere sind sie einfach zu groß zum Schlucken“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Beate Winkler, Oberärztin in der Kinderonkologie. Zudem müssen viele Medikamente gewichtsabhängig dosiert, bei geringem Körpergewicht also halbiert, geviertelt oder gemörsert werden. Auch das erschwert eine exakte Dosierung. „Insgesamt eine unbefriedigende Situation, die unseren Ansprüchen an eine präzise Arzneimitteldosierung nicht gerecht wird“, sagt Klinikapotheker Dr. Adrin Dadkhah.
Machbarkeitsstudie erfolgreich
So ist es kein Zufall, dass die Kinder die ersten sind, die von dem neuen Verfahren, das sich seit mehr als zwei Jahren im UKE in der Entwicklung befindet, profitieren. In einer zuvor von der Klinikapotheke durchgeführten Machbarkeitsstudie wurde die Implementierung des 3D-Drucks zur Herstellung individuell dosierter Arzneimittel in den bestehenden Medikationsprozess erfolgreich getestet. Jetzt folgt die praktische Umsetzung in der Kinderonkologie. „Als wir von den Möglichkeiten des 3D-Drucks hörten, waren wir gleich fasziniert und haben gemeinsam mit dem Apothekenteam überlegt, eine für Kinder adäquate Zubereitung von Medikamenten zu schaffen“, sagt Prof. Dr. Wilhelm Wößmann, stellvertretender Direktor der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie und Oberarzt auf der K1b.
Die Wahl fiel auf den Wirkstoff Dexamethason, der zur Prophylaxe der Übelkeit vor einigen Chemotherapien gegeben wird. Dafür haben die Apotheker:innen eine Kombination aus Wirk- und Hilfsstoffen entwickelt, die viele Ansprüche erfüllen muss. Da ist zum einen die Konsistenz: Die Masse muss zunächst relativ flüssig sein, damit aus dem, was der Drucker in drei Dimensionen schichtweise aufbaut, eine Tablette wird. Beim Erkalten muss diese dann „kaufest“ werden, „dabei aber nicht wie ein Weingummi zwischen den Zähnen hängen bleiben, sondern sich im Mund schnell auflösen, damit der Körper die Wirkstoffe vollständig aufnehmen kann“, erklärt Dr. Dadkhah. Dazu muss die Tablette noch haltbar sein. Und sie muss schmecken. Hierzu haben die Wissenschaftler:innen den extrem bitteren Wirkstoff im 3D-Druck „maskiert“ und mit einer Kombination aus Bitterblockern, Süßungsmitteln und Himbeergeschmack überlagert.
In der angelaufenen Studie erhalten Kinder, die noch zwei Zyklen besonders Übelkeit verursachender Chemotherapie vor sich haben, einmal die herkömmlichen Tabletten und einmal die neuen Kautabletten. Kinder, Eltern und Pflegende werden dann zu beiden befragt. „Es geht zum einen um die Akzeptanz, zum anderen um die Komplexität, also insgesamt um die Arzneimitteltherapiesicherheit“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Claudia Langebrake, Leiterin Forschung und Lehre der Klinikapotheke. Wenn somit erstmals die Vorteile von 3D-gedruckten Medikamenten für die Patient:innensicherheit gezeigt werden können, haben Apotheker:innen und Ärzt:innen weitere Einsatzmöglichkeiten für 3D-gedruckte Medikamente bereits im Blick: Mehrere Wirkstoffe könnten in einer Tablette kombiniert werden, oder Medikamente könnten individuell hergestellt und ihre Dosierung im Therapieverlauf immer wieder neu angepasst werden.
Und so schauen die Wissenschaftler:innen in Klinikapotheke und Kinderklinik gespannt – und zuversichtlich – darauf, wie die Kinder auf die Kautabletten reagieren. „Bestenfalls etablieren wir damit 3D-Drucker in der Medikamentenherstellung und helfen, sehr praktische Probleme im klinischen Alltag zu lösen“, so Dr. Dadkhah.