Ausgefragt?! – Dr. Clarissa Schulze zur Wiesch – Adipositas: Therapeutische Hilfe ist möglich


Interview mit Dr. Clarissa Schulze zur Wiesch

Universitäres Adipositas Centrum Hamburg - Standort Harburg

Laut Robert Koch-Institut (RKI) sind in Deutschland 54 Prozent der Menschen übergewichtig, beinahe jeder Fünfte (18,1 Prozent) schwer übergewichtig. Dr. Clarissa Schulze zur Wiesch, Oberärztin im Universitären Adipositas-Centrum des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), leitet die zugehörige Praxis für Menschen mit Adipositas in Hamburg-Harburg. Zum diesjährigen Europäischen Adipositas-Tag am 20. Mai erklärt sie, welche Risikofaktoren für Übergewicht es gibt und was jede:r Einzelne dagegen tun kann.

  • Ich bin Clarissa Schulze zur Wiesch, Fachärztin für Innere Medizin und Endokrinologie, und ich leite den Standort des Universitären Adipositas-Centrums in Hamburg-Harburg.

    Frau Dr. Schulze zur Wiesch, wann fängt Adipositas an?

    Adipositas beginnt ab einem BMI von über 30, das heißt, der BMI ist unsere Beurteilungsgrundlage für die Gewichtsklassen-Klassifikation, weil das Körpergewicht im Verhältnis zu der Körpergröße gesetzt wird. Achtung: Bei Patient:innen mit überproportional großer Muskelmasse kann es zu falsch hohen BMI-Werten kommen.

    Welche Risikofaktoren gibt es?

    Ja, kurz gesagt: Wir essen zu viel und falsch und bewegen uns zu wenig. Das heißt, in den westlichen oder industrialisierten Ländern haben wir häufig größere Mahlzeiten und konsumieren fettreiche Lebensmittel, Süßigkeiten und gezuckerte Getränke. Außerdem bewegen wir uns zu wenig. Meist haben wir Berufe, die in sitzender Tätigkeit ausgeführt werden. Wir nehmen das Auto, den Aufzug oder die Rolltreppe. Das heißt, das Übermaß an Nahrungsenergie mit dem Mangel an Bewegung führen zu der Gewichtszunahme. Andere Risikofaktoren sind seltene hormonelle Erkrankungen, bestimmte Medikamente oder eine genetische Veranlagung.

    Wie verläuft die Diagnose?

    Die Diagnose erstellen wir anhand des BMI-Wertes, das heißt, eine Adipositas Grad 1 besteht bei einem BMI zwischen 30 und 35, eine Adipositas Grad 2 zwischen 35 und 40 und eine Adipositas Grad 3 beginnt ab einem BMI von über 40. Zusätzlich kann der Taillenumfang uns Auskunft geben über mögliche kardiovaskuläre Risikokonstellationen. Ab einem Umfang von über 88 Zentimetern bei Frauen oder 102 Zentimetern bei Männern ist das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Typ 2 Diabetes deutlich erhöht.

    Welche Therapiemöglichkeiten gibt es und wie erfolgreich sind diese?

    Grundlage jedes Gewichtsmanagements sollte ein Basisprogramm oder die sogenannte multimodale konservative Therapie sein, das heißt die Kombination aus einer Ernährungsberatung, Bewegungstherapie und Verhaltenstherapie. Auch wissenschaftlich erprobte Medikamente können zum Einsatz kommen, müssen aber ärztlich verordnet werden. Bitte lassen Sie die Finger von frei verkäuflichen Präparaten aus dem Internet. Bei einem BMI von über 35 mit Begleiterkrankungen und einer frustrierten, also erfolglosen, konservativen Therapie können chirurgische Eingriffe wie eine Magenverkleinerung oder ein Magen-Bypass in Betracht gezogen werden. Diese müssen bei der Krankenkasse beantragt werden. Alle genannten therapeutischen Verfahren können zu einem Gewichtsverlust zwischen 5 bis 30 Prozent führen.

    Was kann jede:r Einzelne präventiv tun?

    Auch in der Prävention sind die ausreichende körperliche Aktivität und gesunde Ernährung das A und O. Bereits 30 bis 60 Minuten moderate körperliche Aktivität können das Gewicht stabilisieren. Außerdem sollten wir die Zufuhr von energiedichten Lebensmitteln, Süßigkeiten, gezuckerten Getränken und Alkohol minimieren.

    Was zeichnet das Universitäre Adipositas-Centrum gegenüber anderen Einrichtungen aus?

    Das Universitäre Adipositas-Centrum in Hamburg ist eines von vier in Deutschland zertifizierten Exzellenzzentren. Das ist die höchste Zertifizierungsstufe der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralmedizin, welche im Bereich der Adipositas-Therapie vergeben werden kann. Zudem ist das Universitäre Adipositas-Centrum das einzige universitäre Exzellenzzentrum.

    Was ist das Besondere an der Praxis in Harburg?

    In Harburg verbinden wir die langjährige Expertise im Bereich der Adipositas-Therapie mit modern und großzügig gestalteten Räumlichkeiten. Manchmal fällt es Patient:innen leichter, in diese Praxisräumlichkeiten zu kommen, als in die Klinik im UKE.

    Haben Sie noch eine Botschaft für uns?

    Liebe Patient:innen, bitte lassen Sie sich mit der Erkrankung Adipositas ärztlich begleiten und behandeln. Viele Patient:innen kommen erst nach jahrelangen eigenständigen, erfolglosen Versuchen zu uns. Das muss nicht sein. Sie können sich folgendermaßen an uns wenden: Sie können sich telefonisch bei uns melden und Termine vereinbaren für den UKE-Campus oder die Praxis in Harburg. Außerdem können Sie mit Überweisungsscheinen durch fachärztliche Praxen bei uns vorstellig werden.

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