Einsatz in der Notaufnahme
Starke Nerven, schnelle Entscheidungen
Von unklaren Brustschmerzen bis zum schwerverletzten Patienten – in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des UKE werden alle Notfälle fächerübergreifend behandelt, an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr. Mittendrin: Julia Winter. Die Gesundheits- und Krankenpflegerin arbeitet seit Oktober 2015 im rund 110-köpfigen Funktionspflegeteam der ZNA.
Es geht hoch her am Mittwochnachmittag in der Notaufnahme: Sechs Krankenwagen stehen vor der Liegendeinfahrt, Patienten reihen sich am sogenannten „Gate“ zur Anmeldung in die Schlange ein, im Wartezimmer sind fast alle Stühle besetzt. An Mittwochnachmittagen und an den Wochenenden hat das ZNA-Team unter der Leitung von Dr. Ulrich Mayer-Runge und Michael Rieper besonders viel zu tun. Dann sind die Praxen der niedergelassenen Ärzte geschlossen und die Notaufnahme wird oft zur ersten Anlaufstelle – für rund 200 Patienten am Tag.
Gerade reicht eine junge Frau der Gate-Mitarbeiterin ihre Krankenkassenkarte über den Tresen. Sie klagt über starke Kopfschmerzen mit Taubheitsgefühl in der Hand. Julia Winter, Gesundheits- und Krankenpflegerin, übernimmt und begleitet die Patientin in das Ersteinschätzungszimmer. Noch weiß sie nicht, ob die Patientin nur unter Kopfschmerzen mit Begleiterscheinungen oder unter einer akuten, schwerwiegenden Erkrankung leidet. Genau das ist die Herausforderung in der Notaufnahme: Geht es um Leben und Tod oder ist die Erkrankung zwar schmerzhaft und unangenehm, kann aber auch zu einem späteren Zeitpunkt behandelt werden? Die Behandlungsdringlichkeit wird von den Pflegenden in der Einschätzung festgelegt, erklärt Winter. Das Vorgehen nennt sich Triagierung und teilt Patienten nach den Risikofaktoren Lebensgefahr, Schmerzen, Blutverlust, Bewusstsein, Temperatur, Krankheitsart und -dauer ein und ordnet ihnen entsprechend eine Farbe zu: Rot „lebensbedrohlich“, Gelb „dringend“ und Grün „kann warten“.
„Wir versorgen die Patienten hinsichtlich des Schweregrads ihrer Erkrankung und nach der Dringlichkeit der Behandlung, nicht nach der Reihenfolge ihres Eintreffens. Zunächst befragen wir den Patienten, was ihm fehlt, wie stark seine Schmerzen sind. Dann messen wir die Vitalzeichen wie Puls, Blutdruck, Temperatur und nehmen Blut ab. So können wir uns einen ersten Eindruck verschaffen“, erläutert Julia Winter und schiebt ein kleines Röhrchen in das Laborgerät, um den Hämoglobinwert und die Elektrolyte im Blut der Patientin zu ermitteln. Die seien in Ordnung, beruhigt sie die junge Frau und hängt ihr eine Infusion zur Schmerzlinderung an.
Kranke sichten, Notfälle selektieren, Leben retten und Schmerzen lindern – das ist Julia Winters normaler Alltag, der viel Flexibilität und ein hohes Maß an Gelassenheit erfordert. „Es ist wie Achterbahn fahren, man weiß nie, was als nächstes kommt, wie der Arbeitstag aussieht. Aber genau das ist der Reiz daran, hier zu arbeiten“, erzählt sie.
Die Notaufnahme ist mit Ärzten aus 18 verschiedenen Fachdisziplinen mit den Hauptversorgern Unfallchirurgie, Innere Medizin und Neurologie besetzt. So kann sichergestellt werden, dass jeder Notfall adäquat und nach individuellem Behandlungskonzept versorgt wird. Allerdings kämen auch viele Patienten mit „Bagatellverletzungen“ und die, so Winter, seien häufig besonders ungeduldig, wenn sie warten müssen. Ein Schüler, der den Gang hinunterhumpelt, muss nicht warten. Schon von weitem ist der Gesundheits- und Krankenpflegerin klar: Verletzung im Sprunggelenk – sicher nicht lebensbedrohlich, aber schmerzhaft. Und das anschließende Röntgenbild zeigt es dann deutlich: eine Fraktur. Der Unfallchirurg ordnet eine Gipsschiene zur Ruhigstellung an. Julia Winter schiebt den jungen Mann ins Gipszimmer, bindet sich eine Plastikschürze um und formt im Handumdrehen aus Gipsbandagen eine Schiene um den Unterschenkel. Bevor der Schüler die ZNA verlassen kann, gibt sie ihm noch ein Paar Gehstützen und Tipps mit auf den Weg: „Hochlegen, kühlen, bei Schmerzen oder Verfärbung der Zehen sofort wiederkommen, auch nachts“, verabschiedet sie sich.
Julia Winter hat mittlerweile schon einige Kilometer Strecke hinter sich, als am frühen Abend die rote Alarmlampe im Flur aufleuchtet und das Notfalltelefon schellt. Ein Notarztteam kündigt eine schwerverletzte weibliche Person an. Winter bereitet den Schockraum vor, legt alle Materialen zurecht, zieht Medikamente auf, überprüft die Überwachungsgeräte und informiert die Ärzte, die sich umgehend im Schockraum einfinden. Wie nach einem Drehbuch fügen sich dann alle Arbeitsabläufe minutiös aneinander, jeder Handgriff sitzt, jeder weiß, wo er zu stehen und was er zu tun hat – vom Anästhesisten bis zum Krankenpflegepersonal. Die Verständigung untereinander ist klar und deutlich, Arbeitsanweisungen werden sofort umgesetzt und nicht diskutiert. Diese kritischen Einsätze, bei denen es oft um Leben und Tod geht, schrecken Julia Winter nicht – im Gegenteil. „Hier hat man so richtig das Gefühl, bestmöglich helfen zu können“, sagt die gebürtige Leipzigerin. Sie liebt diese Herausforderung und bereut es nicht, aus einem kleineren Krankenhaus in Stade ins Universitätsklinikum der Elbmetropole gewechselt zu sein. „Für mich war das UKE das große Krankenhaus, wo ich immer hinwollte“, sagt sie stolz und huscht noch einmal schnell zu der Patientin mit Kopfschmerzen. Die wurde vom Neurologen eingehend untersucht, ihre Beschwerden haben sich mittlerweile gebessert und auch sie darf wieder nach Hause.
Text: Anja Brandt
Fotos: Axel Kirchhof
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