Fünf Monate in San Diego, USA
Tim Kneesch, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen , hat von August 2018 bis Dezember 2018 ein Auslandssemester an der San Diego State University (SDSU) in den USA verbracht. Ein Kommilitone hat ihn dazu befragt.
Warum hast du dich für dieses Land entschieden?
Die Aussicht, ein halbes Jahr direkt an der Pazifikküste in Kalifornien zu verbringen, hat mich natürlich gelockt. Dazu bietet San Diego ein einzigartiges Klima: 20°C im Durchschnitt werden locker erreicht, von Januar bis Dezember. Je nach Jahreszeit mit einigen Ausreißern nach oben und unten ist es in San Diego weder zu heiß noch zu kalt und im Vergleich zu Hamburg immer angenehm warm. Die kurze Hose und das T-Shirt waren demnach die Hauptkleidungsstücke - wenn ich mich recht erinnere, hatte ich kein einziges Mal tagsüber eine Jacke an!
Hinzu kommt der Bundesstaat, in dem San Diego liegt. Als größte, südlichste Stadt Kaliforniens und als achtgrößte Stadt der USA sind es nur knapp 45 Min bis zur mexikanischen Grenze - bis nach Tijuana sind es inkl. Grenzkontrolle ca. 90 Min. Außerdem bietet Kalifornien ein liberales Umfeld. Politisch und wirtschaftlich stellt es für viele Regionen auf der Welt ein Vorbild dar. Mit den großen Unternehmen im Silikon Valley gibt es zudem ausreichend Möglichkeiten, sich wirtschaftlich zu vernetzen oder Neues zu lernen. Aber auch andere interessante Orte wie Los Angeles, San Francisco, Las Vegas, der Grand Canyon, das Death-Valley oder der Yosemite-National-Park sind eindeutige Pluspunkte, weshalb sich ein Auslandssemester in San Diego lohnt. Wann kommt man schon mal wieder zu der Gelegenheit, ein halbes Jahr in den USA, in Kalifornien und dann auch noch direkt am Strand zu wohnen?
Was ist im Vergleich zum Studium an der Nordakademie anders?
Die USA sind für mich ein faszinierendes Land. Das Leben an einer amerikanischen Universität unterscheidet sich bis auf das westliche Flair deutlich von dem an einer deutschen Hochschule. Die Vorlesungen sind teilweise riesig, es findet ein klassischer Frontalunterricht statt und die Bestuhlung entspricht dem typisch amerikanischen Vorbild: Stuhl und Tisch in einer Kombination zusammengefasst. Für deutsche Verhältnisse klein und beengend.
Der am nächsten gelegene Vergleich bezieht sich natürlich auf den Campus. Aus Deutschland kennt man hier und da einen größeren Campus, jedoch haben die meisten eines gemeinsam: sie sind hauptsächlich zum Lernen und fürs Studium gedacht. In den USA ist das anders. Sofern man an einer ausreichend großen Universität, wie zum Beispiel an der San Diego State University in San Diego, studiert, erlebt man die Verflechtung von Campus, Lehre und Studium allen voran mit Sport, Konsum, Freizeit, Aktivitäten, Social Life und Überdimensionierung. Sport ist an den amerikanischen Universitäten stets im Vordergrund und genießt außerordentliche Aufmerksamkeit der Mitarbeiter, Studierenden sowie auch der Bürger der jeweiligen Stadt. Das Football-Stadion der SDSU fasst über 60.000 Zuschauerplätze - für deutschen Universitäts-Sport wäre das unvorstellbar. Aber auch Basketball, Baseball, Schwimmen, Leichtathletik oder mittlerweile auch Fußball genießen große Beachtung. Die Sportmannschaften werden stets von der gesamten Universitätsgemeinschaft unterstützt und angefeuert. Es entwickeln sich teilweise sogar richtige Stars, die individuelle Bekanntheit erlangen. Besonders Football und Basketball bieten hier Möglichkeiten, Universität mit Leistungssport zu verknüpfen. Leider beschränkt sich das Angebot größtenteils auf amerikanische Studenten - bzw. auf diejenigen, die Vollzeit in den USA studieren und nicht zur für ein Auslandssemester "zu Besuch" vor Ort sind. Auf dem Campus finden sich außerdem ein Fitness-Center mit Sporthalle und Sauna, ein Pool-Bereich mit Wettkampf-, Entspannungs- und Wasserballbecken sowie einem Hot-Tub, mehrere Sportplätze, eine Bowlingbahn, eine Billard-Halle, ein Fan-Shop der Universitätsmannschaften, eine Food-Mall mit mehreren Gastronomieangeboten aus den Bereichen Fast Food, Finger Food und (da wir in Kalifornien sind) auch aus dem Bereich healthy-fresh Food zum Beispiel mit Salatbars wieder.
Das andere große Thema sind die Klausuren. Es stimmt, dass viele in Form von Multiple-Choice-Bögen beantwortet werden. Dabei hat eine Frage immer mindestens vier Antwortmöglichkeiten, wovon mindestens eine die richtige Lösung darstellt. Die Bögen werden mit vorgefertigten Lösungsbögen beantwortet, welche man vorab selbst kaufen muss. Es wird ein spezieller Bleistift verwendet, dessen Bleigehalt einem bestimmten Wert entspricht. Anschließend werden die Bögen abgegeben und durch eine Maschine ausgewertet - hier ist dann der Bleigehalt entscheidend, da die Maschine nur solche Markierungen, die von dem richtigen und geforderten Bleistift stammen, erkennt. Hier muss ich nochmal auf die kleinen Tische zurück kommen: im Vergleich zur NORDAKADEMIE hatte ich an der SDSU in den Klausuren wesentlich weniger Platz, anstelle eines einzelnen Tisches für mich alleine hatte ich meist einen winzigen Klapptisch am Vorlesungsstuhl integriert oder saß auf diesen kleinen Tisch-Stuhl-Kombinationen. Besonders in der Vorlesung "Thermodynamik", welche ich in den USA absolvieren konnte, kam dies zum Tragen. Auf Grund des Inhalts der Vorlesung benötigt man für diese Klausuren eine Formelsammlung, Dampftabellen und andere Tabellen mit physikalischen Größen ... dies alles auf einem kleinen Tisch unter zu bringen, und dann auch noch eine ordentliche Klausur abzuliefern ... nicht einfach! Des Weiteren schreibt man in den allermeisten Vorlesungen und Kursen mehr als eine Klausur. Die „eine“ Klausur aus der deutschen Umsetzung wird in den USA meist in 2-4 Midterms aufgeteilt. Dadurch muss man selten alle inhaltlichen Themengebiete in einem Midterm abrufen und kann sich auf Themengebiete besser fokussieren - das habe ich als sehr angenehm und stressbefreiend empfunden.
Der letzte große Unterschied, den ich erwähnen möchte, stellen die Kosten dar. Bildung, gute Bildung, ist in den USA wesentlich teurer als in Europa oder speziell in Deutschland. Natürlich gibt es für finanzschwache Familien die Möglichkeit, ohne Semestergebühr zu studieren - die allermeisten müssen jedoch einen Kredit aufnehmen, um die Kosten zu stemmen. Ein Semester an einer amerikanischen Hochschule kostet im Durschnitt ca. 5000 $, in San Diego sind es sogar noch mehr. Hinzu kommt die immense Miete, die für ein Semester meist 50% des Semesterbeitrags on top verschlingt. Bücher und Lehrmaterial sind unverschämt teuer, besonders wenn man betrachtet, dass die meisten Bücher und Materialien im gebrauchten Zustand weiter verkauft werden. Dann erst kommen Lebensmittel und Freizeit.
Wie bist du in dem neuen Land zurechtgekommen?
Da ich bereits ein Auslandsjahr hinter mir hatte, war die Sprache keine Barriere für mich. Ich konnte mich wunderbar verständigen, hatte selten Probleme mit Vokabeln, Grammatik oder Aussprache und konnte dem Inhalt der Vorlesungen genau folgen. Die wesentlichen Unterschiede sind die liberale Wirtschaftsstruktur und vor Allem der Verkehr! Es scheint, als würden die Straßenverkehrsregeln auf den Highways nur eine Art Richtlinie darstellen: man wird gnadenlos von rechts, von links, gleichzeitig von beiden Seiten oder sogar auf dem Standstreifen überholt. Hinzu kommt das unglaublich große Gewusel auf den meist 4 bis 6-spurigen Autobahnen. Aufgrund der Größe des Landes kommt es auf Reisen immer mal wieder vor, dass man hunderte Kilometer nur geradeaus fährt (keine Übertreibung, mein Rekord liegt bei über 300 km).
Welche neuen Eindrücke und Erkenntnisse hast du gewinnen können?
Besonders aus wirtschaftlicher Sicht hat man neue Eindrücke gewinnen können: die liberale Wirtschaftspolitik ermöglicht eine einfachere Etablierung von Start-Up-Unternehmen im Gegensatz zu anderen Ländern. Dabei ist die USA vor Allem eines: es ist DAS Land der Dienstleistungen. Der Service für den Kunden, der als sogenanntes "additional Feature" einen wesentlichen Aspekt beim Kauf eines Produktes darstellt, steht immer im Vordergrund. Fast jedes Produkt wird mit einem teils individuellen, teils allgemeinen, aber stets kundenorientierten Service ausgestattet. Dieser tritt entweder in Form eines wiederkehrenden Serviceangebots oder als Einmalleistung auf. Aber eins ist klar: vom Friseur, über den täglichen Einkauf im Discounter bis hin zum Auto- oder Hauskauf, es entscheidet neben dem Preis immer auch die Qualität des Services. Ist er schlecht, bleiben die Kunden aus. Eine Professorin sagte zu mir: In keinem anderen Land werden Unternehmen anhand ihrer Servicequalität in diesem Maße bewertet - wer nicht leistet oder den Erwartungen des Kunden nicht gerecht wird, der wird vom Verbraucher fallen gelassen und hat es anschließend schwer, wieder in den Markt hinein zu kommen!
.
Wie sah dein Alltag aus?
Mein Tag fing meist mit einem Spaziergang oder einer Runde Schwimmen am Strand an. Vorlesungen hatte ich von Montag bis Donnerstag, Freitag war in meinem Stundenplan immer frei. In den Pausen zwischen den Vorlesungen habe ich entweder im Fitness-Center Sport gemacht, war im Aquaplex (dem Poolbereich der SDSU) oder im Bowling-Center. Die Nutzung war für Studenten meist kostenfrei, nur beim Bowlen musste man 1 $ als Leihgebühr abtreten - völlig ok!
Nach den Vorlesungen mussten die wöchentlichen Hausaufgaben erledigt werden, die meist bis Sonntagabend im hochschuleigenen Online-Portal hochgeladen werden mussten. Anschließend war Zeit zum Football-Spielen am Strand oder zum entspannten Beisammensein mit Freunden am Strand.
Was wirst du am meisten vermissen?
Am meisten werde ich definitiv das Wetter vermissen. Von August bis Dezember knapp fünf Monate in kurzer Hose und T-Shirt mit weniger als zehn Tagen Regen durch Südkalifornien zu laufen, war einzigartig. Das hat natürlich nicht unbedingt etwas mit San Diego im Speziellen zu tun - aber man nimmt es trotzdem gerne mit.
Gibt es besondere Empfehlungen?
Ich würde jedem Studierenden an der NORDAKADEMIE empfehlen, das Auslandssemester wahrzunehmen. Mit dem Stress aus den Theoriephasen und der Belastung in den Praxisphasen stellt das Auslandssemester eine angenehme Abwechslung zum gängigen Alltag in Deutschland dar. Natürlich muss man auch hier etwas für seine Leistungen tun. In einer unbekannten Umgebung, mit unbekannten Menschen und erstklassigem Wetter lässt sich dies aber wesentlich einfacher und motivierter bewerkstelligen. Einen gewissen Erholungsfaktor kann und will ich demnach auch nicht unerwähnt lassen.
Jedoch sollte man bei gemeinsamen Auslandssemestern mit Freunden aus der Uni oder sogar aus dem eigenen Kurs vorsichtig sein - nicht jede Freundschaft hält ein enges Zusammenleben für mehrere Monate aus und viele, die als Gruppe weggeflogen sind, hatten im Nachhinein oder zwischendurch Probleme. Aber das kommt natürlich auf jeden selbst an.
Wie würdest du dein Auslandssemester bewerten?
Im Großen und Ganzen bewerte ich mein Auslandssemester als vollen Erfolg! Der Ort war klasse, die Lage für einige Reisen fast perfekt und meinem Englisch hat es auch nicht geschadet. Ich konnte mir alle 4 Kurse, die ich an der SDSU absolviert habe, in vollem Umfang an der NORDAKADEMIE anrechnen lassen. Durch die Verschiebung von "Thermodynamik" und "Marketing" sowie den beiden Wahlpflichtkursen konnte ich mir einige Arbeit an der deutschen Hochschule sparen.
Reisen ins Unbekannte mochte ich schon immer, besonders wenn man die Chance hat den Ort richtig kennen zu lernen. Mit all den kleinen Geheimspots, den lokalen Aktivitäten und den Menschen, die dort leben. Ein Auslandssemester entwickelt in meinen Augen auch den Charakter weiter. Selbständigkeit und Verantwortung lassen sich so perfekt lernen, verbessern oder auch erst aneignen.