"Lebenszeichen"

Feldpostkarte (Fotograf: H. Wanderer, Klagenfurt, undatiert), Sammlung Wolfgang U. Eckart.
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Feldpostkarte (Fotograf: H. Wanderer, Klagenfurt, undatiert), Sammlung Wolfgang U. Eckart.

Veranstaltungsreihe zur Sonderausstellung im Medizinhistorischen Museum Hamburg

Eingerichtet in Hotels, Bildungseinrichtungen, Krankenhäusern oder Vereinssälen wurde das Lazarett während des Ersten Weltkriegs zur „omnipräsenten medizinischen Institution“, die „den Krieg in die unmittelbare Nähe der Bevölkerung rückte“ (Wolfgang U. Eckart). Zahlreiche Bildpostkarten von den verwundeten Soldaten dokumentieren die temporäre Aneignung dieser Räume und legen zugleich einen (idealisierten) Blick auf das Leben im Lazarett frei. Als persönliche Nachricht waren sie oft das erste Lebenszeichen, das Angehörige oder Freunde von den Verwundeten erhielten. Dabei teilten sich die Schreibenden nicht nur über die Zeilen mit, die sie zu Papier brachten, sondern in vielen Fällen auch über die Fotografie, die als integraler Bestandteil der Bildpostkarte den Schreibenden als genesenden und umsorgten Patienten zeigt.

Eine umfangreiche Sammlung von Postkarten ist Ausgangspunkt einer neuen Sonderausstellung im Medizinhistorischen Museum Hamburg, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven dem Lazarett als Erfahrungsraum widmet. Die Ausstellung entfaltet medizinische, soziale und kulturelle Aspekte der Krankenversorgung zwischen vaterländischer Propaganda und allgegenwärtiger Krisenerfahrung. Einen gesonderten Blick wirft sie auf die „Lazarettstadt“ Hamburg, wo neben anderen Einrichtungen auch das ehemalige Tanz-Etablissement Mühlenkamp, die Kunstgewerbeschule Lerchenfeld oder das Staatliche Technikum, die spätere Hochschule für Angewandte Wissenschaften HAW, als Lazarett genutzt wurden.

Die Veranstaltungsreihe vertieft einzelne Aspekte der Ausstellung mit Vorträgen, einer Lesung und der Live-Vertonung eines Stummfilms.

Zeit und Ort: 19.10.2018 – 31.01.2019, jeweils 18.30 Uhr–20 Uhr, Medizinhistorisches Museum Hamburg, Gebäude N30b (Fritz-Schumacher-Haus), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistraße 52 (Eingang Schedestraße / Ecke Frickestraße), 20246 Hamburg

Am 22.11., 13.12., 10.01. und 31.01. bietet das Medizinhistorische Museum jeweils vor den Veranstaltungen eine kostenlose Führung durch die Sonderausstellung an. Die Führungen beginnen um 18 Uhr, Treffpunkt ist im Foyer.

Freitag, 19.10.2018
Eröffnung der Ausstellung „Aus dem Krieg. Feldpostkarten aus dem Lazarett, 1914-1918“ mit einer Einführung von Prof. Dr. Philipp Osten (Medizinhistorisches Museum Hamburg) und den Kuratoren Dr. Monika Ankele (Medizinhistorisches Museum Hamburg) und Henrik Eßler M.A. (Medizinhistorisches Museum Hamburg)

Donnerstag, 22.11.2018
„Mir geht es noch gut!“ – Zeilen, Bilder, Feldpostkarten aus Kriegslazaretten, 1914-1918
Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart (ehem. Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Heidelberg)
Typische Soziotope der Kriegszeit 1914 bis 1918 sind die Grabengemeinschaften der Männer an den Fronten, die Säle der Armenküchen für die Frauen, Kinder und Alten in der Hungerheimat, die Schlangen vor den leeren Läden und die Kriegslazarette mit dem Aushub der Stahlgewitter landauf landab. Sie machten den Alltag der „kleinen Leute“ in einer Katastrophenzeit aus, die am allerwenigsten sie selbst verursacht hatten. Der Vortrag will versuchen, anhand der Lazarettpostkarten jener Zeit einen Blick – quasi durch das Schlüsselloch vergessener Momentaufnahmen – in die Lebenswelt des Soziotops „Kriegslazarett“ zu werfen.

Donnerstag, 13.12.2018
„Kriegsneurotiker“ in Sonderlazaretten des Ersten Weltkriegs. Von „Nervenschwächlingen“ und der Optimierung menschlicher Ressourcen
Vortrag von Prof. Dr. Heinz-Peter Schmiedebach (ehem. Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf)
Der Vortrag geht der Frage nach, wie sich zwischen 1914 und 1918 der Umgang und die Therapie der „Kriegsneurotiker“ veränderten. Neben der Anwendung von teilweise sehr drastischen Behandlungsformen suchte man im Verlauf des Krieges nach neuen Möglichkeiten, die Kranken, die nicht mehr an die Front geschickt werden konnten, in kriegswichtigen Betrieben und der Landwirtschaft einzusetzen. Die Probleme, die bei diesen Versuchen, die menschlichen Ressourcen zu optimieren und möglichst weitgehend in den Dienst des Kriegs zu stellen, entstanden, werden anhand neuer Quellenfunde ausgeleuchtet.

Donnerstag, 10.01.2019
„Erst das Lazarett zeigt, was Krieg ist.“ Aufzeichnungen von Ärzten, Pflegenden und Verwundeten aus den Lazaretten des Ersten Weltkriegs
kommentierte Lesung mit Christoph Grissemann (Wien) und Dr. Monika Ankele (Medizinhistorisches Museum Hamburg)
„(...) Die merkwürdig dunklen, geheimnisvollen Kopfschüsse. / Die zitternden Nasenflügel der Brustschüsse. / Die Blässe der Eiternden. / (...) Der schonende Gang der Arm- und Schulterbrüche, das Hupfen der Fuß- und Wadenschüsse / das steife Stelzen / Der ins Gesäß geschossenen. Das Kriechen auf allen Vieren.“ (Wilhelm Klemm, Lazarett)
In erschütternder Klarheit beschreibt Wilhelm Klemm, während des Ersten Weltkrieges Frontarzt in Belgien und Frankreich, in seinen Gedichten und Briefen sein Erleben im Krieg. Ausgehend von Selbstzeugnissen sowie autobiographischen Aufzeichnungen von Ärzten, Pflegenden und Verwundeten entfaltet die Lesung einen Blick in den Erfahrungsraum des Kriegslazaretts, den die Feldpostkarten mit ihrer zentralen Botschaft des „Mir geht es gut“, wenn überhaupt, nur bedingt offenbaren.

*Das Zitat im Titel ist aus dem Roman „Im Westen Nichts Neues“ von Erich Maria Remarque.

Donnerstag, 31.01.2019
„Nerven“ (Deutschland 1919). Stummfilmvorführung mit Live-Vertonung
Stummfilmvorführung im historischen Sektionssaal mit der Pianistin Eunice Martins (Berlin) und einer Einführung von Dr. Philipp Stiasny (Filmmuseum Potsdam)
Das Stummfilmdrama „Nerven“ von Robert Reinert aus dem Jahr 1919 ist der wohl ungewöhnlichste und verworrenste Film der unmittelbaren Nachkriegszeit. Mit hohen künstlerischen Ambitionen wagt sich „Nerven“ an eine breit angelegte Deutung der Gegenwartsprobleme, diagnostiziert eine kranke Gesellschaft, reflektiert das Eintreten für revolutionäre Ideale, die Rückbesinnung auf archaische Lebensformen und die Erlösung im christlichen Bekenntnis. Im Zentrum stehen ein erzkonservativer Fabrikbesitzer, seine linksradikale Schwester und ein Lehrer, der zur Einigung aufruft. Sie alle geraten im Verlauf des Films psychisch und moralisch an Grenzen.
„Alles Menschliche wird in uns aufgewühlt, und in bildhafter, greifbar-plastischer Deutlichkeit zeigt uns Reinert all das Krankhafte und Verzerrte, das wir als Erbe des Krieges mit uns herumtragen.“ (Der Kinematograph, 31.12.1919)

Koordination: Dr. Monika Ankele, m.ankele@uke.de