Bett und Bad. Objekte und Räume therapeutischen Handelns in der Psychiatrie des 19. und 20. Jahrhunderts. Grundzüge einer materialen Psychiatriegeschichte
Mit der Einführung der Bett- und Dauerbadbehandlung wandeln sich in den Kliniken und Anstalten des beginnenden 20. Jahrhunderts Bett und Bad zu zentralen Objekten therapeutischen Handelns, zu "Medikamenten" im eigentlichen Sinne des Wortes. PatientInnen werden - oft über Wochen und Monate - im Bett oder im Bad liegend therapiert. Die Behandlungsmethoden erfordern eine Umgestaltung und Neueinrichtung psychiatrischer Anstalten, sie stellen eine Annäherung an das Krankenhaus sowie die allgemeine Medizin dar, wo beide Behandlungskonzepte zu diesem Zeitpunkt bereits Anwendung finden, und sollen darüber hinaus klinische Beobachtungen von Krankheitssymptomen und -verläufen ermöglichen und damit eine "moderne" Psychiatrie auf klinischer Grundlage begründen. Der medikale Raum der Psychiatrie, der über Bett und Bad seine epistemische Funktion und therapeutische Wirkung entfalten soll, steht jenem Raum gegenüber, den die PatientInnen (im Liegen) erleben, in der Reduktion ihrer Handlungen auf Bett und Bad erfahren. Das Forschungsprojekt nimmt die Bett- und Dauerbadbehandlung zum Ausgangspunkt, um nach den vielschichtigen Funktionen, Signifikationen und Aneignungsweisen von Bett und Bad als Objekt und Raum im Alltag psychiatrischer Institutionen sowie nach der Bedeutung dieser Therapiekonzepte im psychiatrischen Diskurs zu fragen. Bett und Bad werden als Schnittstellen konzipiert, an denen sich Denk- und Handlungsweisen kreuzen, verdichten, verschieben, materialisieren. Die Quellen der Universitäts-Irrenklinik Heidelberg (Krankenakten, Verwaltungsakten etc.), deren Wachsaal- und Dauerbadeinrichtungen um 1900 Vorbildwirkung auf andere Anstalten ausüben, stellen die Hauptsäule der praxeologischen Analyse dar. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf den Jahren zwischen 1890 und 1940, wo die Therapieverfahren entwickelt, eingeführt und von anderen Konzepten abgelöst werden. Ziel des Forschungsprojekts ist es, am Beispiel der Bett- und Dauerbadbehandlung eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Psychiatriegeschichte auf Basis der Analyse ihrer materialen Kultur auszuarbeiten und auf diesem Weg das erkenntnistheoretische Potenzial, das in den Objekten liegt, für den Bereich der Psychiatriegeschichte produktiv zu machen.
Laufzeit: 08/2015-12/2019 Dr. Monika Ankele, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin des UKE Hamburg,
m.ankele@uke.de