Männer erkranken anders. Frauen auch.
Ob Infektion, Krebs oder Autoimmunerkrankung: Das Immunsystem von Frauen und Männern funktioniert unterschiedlich. Welche Ursachen und Mechanismen stecken dahinter?
Von Ingrid Kupczik
„Je besser wir verstehen, wie sich biologische Unterschiede auf die Symptome und den Verlauf von Krankheiten auswirken, desto besser können wir dies bei der Behandlung berücksichtigen“, sagt Prof. Dr. Marcus Altfeld, Direktor des Institutsfür Immunologie des UKE. Er leitet gemeinsam mit Prof. Dr. HannaLotter vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) die Forschungseinheit „Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Immunantwort“. An dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2021 geförderten Projekt (FOR 5068) sind die UKE-Bereiche Autoimmunerkrankungen, Infektiologie und Tumorforschung, das BNITM sowie das Leibniz-Institut für Virologie (LIV) mit insgesamt acht Projektgruppen beteiligt.
Männer erkranken schwerer an Infektionen als Frauen, das ist in der Medizin seit Langem bekannt. „Doch erst durch die Corona-Pandemie, als deutlich mehr Männer auf die Intensivstationen kamen und starben, wurden Öffentlichkeit und Politik auf das Thema aufmerksam. Nun wurden die geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Verlauf der Erkrankung sehr deutlich“, erläutert Prof. Altfeld. Zudem stellte sich heraus, dass Frauen durch eine Impfung besser geschützt sind. „Sie zeigen stärkere Immunantworten als Männer. Das geht beim Impfstoff gegen Influenza so weit, dass man in klinischen Studien bei Frauen schon mit der Hälfte der Impfstoffmenge die gleiche Antikörperantwort ausgelöst hat“, erklärt Prof. Dr. Marylyn Addo. Im Rahmen des Forschungsprojekts untersucht sie mit ihrer Arbeitsgruppe die Mechanismen und Signalwege, die zu den unterschiedlichen Impfergebnissen bei Frauen und Männern führen. „Für die Gendermedizin war Corona ein Booster“, sagt Prof. Altfeld.
Kein Vorteil ohne Kehrseite
Was macht den Unterschied aus? Sind es die Gene, die Geschlechtshormone oder beides in Kombination? Feststeht: Frauen besitzen zwei X-Chromosomen, Männer nur eins. Bis vor etwa zehn Jahren war die Medizin allerdings überzeugt, dass das zweite X-Chromosom, das sogenannte Barr-Körperchen, inaktiv sei. „So habe ich es auch noch im Studium gelernt“, bestätigt Altfeld. „Heute weiß man: Es ist teilweise aktiv, und insbesondere jene Gene, die für die Immunregulation entscheidend sind, weichen der Inaktivierung aus.“ Dadurch können Frauen im Vergleich zu Männern eine stärkere Immunreaktion gegen Krankheitserreger entwickeln, Infektionen schneller kontrollieren und die Erreger beseitigen. Die Kehrseite: Sie zeigen stärkere Entzündungsreaktionen als Männer und sind öfter von Allergien und Autoimmunkrankheiten wie Rheuma, Lupus, Multiple Sklerose oder Typ-1-Diabetes betroffen.
„Früher hätte man beide Beobachtungen getrennt wahrgenommen, heute wissen wir: Das sind zwei Seiten einer Medaille, dahinterstecken ähnliche Mechanismen“, sagt Prof. Altfeld und verweist auf die Forschung zum Toll-Like Rezeptor* (TLR) 7, einem wichtigen Akteur des angeborenen Immunsystems. TLR 7 arbeiten wie Sensoren, die ihre Umgebung ständig nach unbekannten Informationsträgern der Zellen (RNA) absuchen, die zu einem Krankheitserreger gehören könnten. Sie haben eine große Bedeutung für Infektionen durch RNA-Viren wie zum Beispiel SARS-CoV-2.
Gendeffekt mit schwerwiegenden Folgen
Der Immunologe berichtet von einem Fall, in dem zwei zuvor gesunde Brüder sich mit dem Corona-Virus infiziert hatten: Beide mussten intensivmedizinisch behandelt werden, einer starb. Wie sich herausstellte, hatten beide eine Mutation des TLR7-Gens, das auf dem X-Chromosom liegt. „Aber wenn das Gen zu gut funktioniert, kann dies auch schwerwiegende Folgen haben“, so Altfeld. Das zeige auch der Fall eines Mädchens, bei dem mit sieben Jahren Lupus diagnostiziert wurde, eine Autoimmunkrankheit, die normalerweise erst im Erwachsenenalter auftritt.
Warum sind die für die Immunantwort wichtigen Gene ausgerechnet auf dem X-Chromosom gelandet? Vermutlich stecken evolutionäre Gründe dahinter, so Altfeld: Der weibliche Organismus sei dahingehend optimiert, Infektionen sehr schnell und wirksam zu bekämpfen und somit das ungeborene oder neugeborene Kind vor Infektionen zu schützen. Die Sexualhormone wiederum beeinflussen die Aktivierung von Genen – und von Immunzellen. „Diese haben Rezeptoren, mit denen sie Östrogen und Testosteron erkennen können.“
Wichtige Erkenntnisse zur geschlechtsspezifischen Immunität liefern auch transMenschen. Durch die Einnahme von Sexualhormonen des empfundenen Geschlechts lassen sich hormonelle von genetischen Einflüssen auf die Immunität deutlich abgrenzen. „Dabei zeigt sich: Testosteron schwächt Teile des Immunsystems, Östrogen stärkt es“, so Prof. Altfeld.
Geschlecht und Hormone beeinflussen in hohem Maße, ob und wie Menschen krank oder gesund werden. „Wir reden viel über personalisierte Medizin; der Ansatz ist wichtig, aber vielleicht wäre es realistischer, erst einmal nach Geschlecht zu kategorisieren.“ In Deutschland spielt Gendermedizin in Forschung und Lehre kaum eine Rolle, stellt Altfeld fest. Bei den meisten klinischen Studien werden die erhobenen Daten bisher nicht nach Geschlecht differenziert, bei der Erprobung neuer Medikamente Frauen oft gar nicht erst beteiligt. Beiden Geschlechtern wurde lange Zeit die gleiche Dosierung bei Schlafmitteln verordnet; bei Frauen kam es verstärkt zu Stürzen. „Mittlerweile weiß man, dass manche Schlafmittelbei ihnen langsamer abgebaut werden: Sie benötigen nur die halbe Dosis.“ Prof. Altfeld ist überzeugt, dass „die systematische Einbeziehung geschlechtsspezifischer Faktoren einen wichtigen Beitrag für neue Behandlungsstrategien von Infektionen und immun vermittelten Erkrankungen leisten wird“.
Für welche Erkrankungen Frauen und Männer besonders anfällig sind und wie sie jeweils auf Infektionen, Impfstoffe oder Umweltfaktoren reagieren – hier nachfolgend eine Auswahl.
MÄNNER | FRAUEN | |
---|---|---|
Autoimmunkrankheiten | Asthma (von der Geburt bis zur Pubertät) | Asthma (nach der Pubertät), Hashimoto-Schilddrüsenentzündung, Lupus, Multiple Sklerose, Rheuma |
Entwicklungsstörungen des Nervensystems | Autismus-Spektrum-Störungen, Tourette-Syndrom, Aufmerksamkeitsstörungen | Phobien, Zwangsstörungen, Essstörungen |
Neurologische und neurodegenerative Erkrankungen | Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Parkinson, Schlaganfall, frühe Schizophrenie | Alzheimer, Depressionen und Angststörungen, Schizophrenie |
Krebs (Geschlechtsorgane ausgenommen) | Kehlkopf, Blase, Speiseröhre | Schilddrüse, Lungenkrebs bei Nichtraucherinnen |
Infektionen und Impfungen | SARS-CoV-2 (höhere Sterblichkeit), Hepatitis B, Tuberkulose | Besseres Ansprechen auf diverse Impfungen |
Umwelt | Feinstaubbelastung, Koffeinkonsum schützt vor Parkinson | Gewisse Schutzwirkung von Zigarettenrauch und Koffeinkonsum vor Schlaganfall, Demenz und Depressionen |
Mehr Informationen?
Details zu den Einzelprojekten der Forschungsgruppe unter: www.uke.de/immunitaet
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