Wenn das Orchester aus dem Takt gerät
Bei Autoimmunerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Multipler Sklerose ist das Informationsgeschehen des Immunsystems gestört. Welche Mechanismen der fehlerhaften Zellkommunikation zugrunde liegen, ergründen UKE-Wissenschaftler:innen des Sonderforschungsbereichs SFB 1328.
Von Katja Strube
Bei Infektionen sorgen sie schnell und effektiv für eine Bekämpfung der Krankheitserreger: T-Zellen übernehmen als „Dirigenten“ wesentliche Steuerungsfunktionen im körpereigenen Immunsystem. So wie ein Dirigent sein Orchester mit Informationen versieht, erfüllen die T-Zellen diese Aufgabe durch die Nutzung von Kommunikationsmolekülen.
Auf der Suche nach eben diesen Kommunikationsmolekülen erforschen die Wissenschaftler:innen des SFB 1328 die Adeninnukleotide. Dabei wird immer deutlicher, dass sie als zentrale Player bei der Regulation des Immunsystems sowie der Steuerung von entzündlichen Reaktionen fungieren. „Adeninnukleotide dienen nicht nur der Kommunikation zwischen den Zellen, sondern auch innerhalb der Zellen. Mit neuen molekularen Werkzeugen, die im SFB 1328 entwickelt werden, lassen sich diese Kommunikationsprozesse in Echtzeit abbilden“, erläutert Prof. Dr. Dr. Andreas H. Guse, SFB-Sprecher und Direktor des Instituts für Biochemie und Molekulare Zellbiologie. „Zudem finden wir zunehmend die bei Erkrankungen vorliegenden Kommunikationsfehler – und versuchen, diese durch neue Therapieansätze zu beseitigen.“
Immunzellen schützen effektiv vor Infektionserregern. Allerdings können sich die Immunzellen auch gegen den eigenen Körper richten – Autoimmunerkrankungen wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder Multiple Sklerose sind die Folge. „Erkennen T-Zellen körpereigene Strukturen, liegen Kommunikationsdefizite in den Zellen vor, und genau dort setzt unsere Forschung an“, erläutert Priv.-Doz. Dr. Björn-Philipp Diercks, Arbeitsgruppenleiter im Institut für Biochemie und Molekulare Zellbiologie. Die nachfolgende Aktivierung der T-Zellen führt dann zu einer nahezu explosionsartigen Vermehrung dieser Zellen innerhalb der nächsten Tage – ein Vorgang, der die bei Autoimmunerkrankungen häufigen, schubartigen Verläufe bestimmt. „In den verschiedenen Projekten des SFB kommen wir den Einzelheiten dieser Prozesse in immer kleineren Teilschritten auf die Spur“, so Dr. Diercks weiter. „Mittels eines neuartigen Mikroskops konnten wir zum Beispiel nachweisen, dass Adeninnukleotide die Calciumkonzentration in den T-Zellen innerhalb von 50 bis 100 Millisekunden ansteigen lassen – als Folge kommt die Aktivierung der Zellteilung in Gang“, erläutert Dr. Diercks. Das Superresolutionsmikroskop, das diese Ergebnisse ermöglicht, gibt es in dieser Konfiguration weltweit nur im UKE.
„Die Zellen tauschen Informationen untereinander aus und setzen diese an der Zellgrenze in relevante intrazelluläre Informationen um, damit jede Zelle die gewünschte Funktion erfüllt“, erklärt Prof. Guse. „Bei Autoimmunerkrankungen läuft die Zellkommunikation aus dem Ruder – mit fatalen Folgen für die Gesundheit. Verstehen wir diese Kommunikationsfehler besser, können wir möglicherweise therapeutisch eingreifen.“ Ziel ist es, das bei Autoimmunerkrankungen aus dem Gleichgewicht geratene Immunsystem wieder in die Waage zu bringen. „Wir möchten die Kommunikationsfehler erkennen und soweit möglich beseitigen – dabei aber die sonstigen Kommunikationswege nicht beeinflussen.“ Zukünftige Medikamente sollten das Immunsystem so modulieren, dass die gewünschten Immunfunktionen bei der Abwehr von Krankheitserregern erhalten bleiben, die unerwünschten autoimmunen Reaktionen aber wirkungsvoll unterdrückt werden, so die Hoffnung des SFB-Sprechers.
Der SFB 1328
2022 verlängerte die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Förderung für den 2018 eingerichteten Sonderforschungsbereich um weitere vier Jahre. Unter dem Titel „Adenine Nulceotides in Immunity and Inflammation“ erforschen rund 75 Mitarbeitende die Vorgänge innerhalb der Zellen. In 20 Einzelprojekten nähern sich die Teams mit verschiedenen Fragestellungen der Rolle von Signalmolekülen bei Entzündungsvorgängen und bei der körpereigenen Immunantwort. Grundlagenforscher:innen arbeiten hier sowohl im engen Austausch mit klinischen Ärzt:innen des UKE zusammen als auch mit Kolleg:innen der Universitäten Hamburg sowie Göttingen, Bonn, Heidelberg und München.
Mehr Informationen?
Auf den Seiten des Sonderforschungsbereichs gibt es mehr Details: www.uke.de/sfb1328
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