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Der Preis des Überlebens

Wenn ein Kind seine schwere Leukämie oder den bösartigen Hirntumor besiegt hat, scheint das Schlimmste überstanden. Doch eine Krebstherapie im Kindesalter fordert oft ihren Tribut. Mehr als die Hälfte leidet Jahrzehnte später an den Folgen von Tumor und Therapie.

Text: Nicole Sénégas-Wulf, Fotos: Axel Kirchhof

DIE VISION: ALLEN KREBSKRANKEN KINDERN HELFEN ZU KÖNNEN

Wissen: Jeder Tumor hat unterschiedliche molekulare Merkmale

Forschen: Therapien personalisiert und risikoadaptiert einsetzen

Heilen: Überlebenschancen verbessern, Spätfolgen reduzieren

Rund 2000 Kinder und Jugendliche erkranken jährlich an Krebs. Am häufigsten sind Leukämien und Hirntumoren. Glücklicherweise haben sich die Heilungschancen in den letzten Jahren deutlich verbessert, doch die Problematik gravierender Spätfolgen durch Strahlen- und Chemotherapien bleibt. Herz, Lunge, Hormonhaushalt und zentrales Nervensystem sind – je nach Behandlung – besonders oft geschädigt. „Wir müssen langfristig den Preis des Überlebens senken“, sagt Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Direktor der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie.

Der Schlüssel für effektive und gleichzeitig schonende Therapien liegt im genauen Verständnis der jeweiligen Krebserkrankung. „Wurden in den 90er Jahren noch fast alle bösartigen Hirntumoren ähnlich behandelt, können wir heute innerhalb der Medulloblastome dank biologischer Forschungsergebnisse unterschiedliche Risikogruppen definieren. Mit variierenden Überlebenschancen zwischen 20 und 90 Prozent“, sagt Prof. Rutkowski, der am UKE auch die HIT-MED Studienzentrale (MED = Medulloblastome, Ependyome und Diverse) leitet, die seit mehr als 30 Jahren Daten von Kindern mit Hirntumoren sammelt und auswertet.

Doch wie lernt man, eine Krebsart besser zu verstehen? Indem man die Tumorzellen auf charakteristische molekulare Merkmale hin untersucht, die Auskunft über die Aggressivität und Prognose der Tumorart geben. „Dadurch können wir die Kinder heute je nach Risikogruppe mit auf den Tumor zugeschnittenen Therapien behandeln“, erklärt der Kinderonkologe.

Gensonde misst, wie viele Leukämiezellen noch aktiv sind

Auch im Falle der akuten lymphatischen Leukämie (ALL), der bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten auftretenden Krebsart, kommen moderne und hochpräzise Diagnostikmethoden zum Einsatz. Dank eines molekulargenetischen Verfahrens kann sogar unter der Therapie geprüft werden, wie gut das Kind auf die Medikamente anspricht. Dafür schicken die Mediziner eine Gensonde ins Knochenmark, die exakt misst, wie viele Leukämiezellen noch übrig sind. „Das gibt uns die Möglichkeit, rasch zu reagieren und gegenzusteuern. Entweder durch eine Therapiereduktion oder -intensivierung“, erläutert Priv.-Doz. Dr. Gabriele Escherich, die in der pädiatrischen Hämatologie die bundesweite Studiengruppe COALL leitet.

In besonders komplexen Fällen werden auch innovative immuntherapeutische Verfahren angewandt. So zum Beispiel die CAR-T-Zell-Therapie, bei der die Zellen gentechnisch so verändert werden, dass sie an die Krebszellen andocken und diese zerstören. Um Wissen zu bündeln, schloss sich 2019 die COALL-Studiengruppe mit fünf weiteren führenden europäischen Studiengruppen zum Konsortium ALL Together-ATC zusammen. Dieser europaweite Verbund hat zum Ziel, mit verschiedenen Behandlungsstudien die Prognose bei ALL von derzeit 90 Prozent noch weiter zu verbessern und Spätfolgen zu reduzieren.

Wenn ein Kind seine schwere Leukämie oder den bösartigen Hirntumor besiegt hat, scheint das Schlimmste überstanden. Doch eine Krebstherapie im Kindesalter fordert oft ihren Tribut. Mehr als die Hälfte leidet Jahrzehnte später an den Folgen von Tumor und Therapie.

Therapieintensität an individuelles Risiko anpassen

Wie sich Behandlungsstandards im Fall des aggressiven Medulloblastoms optimieren lassen, untersuchte Prof. Rutkowski zuletzt in der europaweit angelegten und durch die Deutsche Kinderkrebsstiftung geförderten PNET 5-Studie mit mehr als 360 Patient:innen. Vor Studieneinschluss wurden alle Untersuchungen in Speziallabors qualitätsgeprüft, um die jeweilige Risikogruppe exakt festzulegen. Kinder mit biologisch günstigem Risikoprofil erhielten eine reduzierte Therapie aus weniger Bestrahlung und Chemotherapie. Bei Kindern mit biologisch mittlerem Risikoprofil wurde eine randomisierte Therapieintensivierung durchgeführt, um die Überlebensrate von derzeit 70 Prozent zu verbessern. Alle drei Monate durchlaufen die Kinder medizinische Check-ups bestehend aus MRT sowie kognitiven Tests im Verlauf.

Die Studienkommission besteht aus 50 Expert:innen verschiedener Fachdisziplinen von Neurochirurgen, Strahlentherapeuten, Psychologen und Biologen. „Dank der starken, internationalen Vernetzung gelingt es uns, hohe Falldaten auch für kleinere Tumor-Subgruppen zu sammeln und aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen, die den Kindern rasch zugutekommen können“, so Prof. Rutkowski. Die PNET 5-Studie soll in zwei Jahren erste Ergebnisse liefern. Das Team hofft, daraus neue Therapiestandards beim aggressiven Medulloblastom ableiten zu können.

Weitere Informationen zu den Studien in der Kinderkrebsmedizin finden Sie unter www.uke.de/forschung-kinderkrebs

Prof. Stefan Rutkowski

Seit 2002 leitet Prof. Rutkowski die HIT-MED Studienzentrale, die seit Mitte der 80er Jahre bundesweit Daten von Kindern mit Hirntumoren sammelt und auswertet. Die Studiengruppe betreut und koordiniert diverse wissenschaftlichen Projekte, die zum Ziel haben, Behandlungskonzepte für Kinder weiter zu verbessern.

Dr. Gabriele Escherich

Die deutschlandweite COALL-Therapiestudie unter Leitung von Dr. Escherich erforscht risikoadaptierte Therapien für Kinder und Jugendliche mit akuter lymphoblastischer Leukämie (ALL), um Spätfolgen zu reduzieren. 2019 schlossen sich die fünf führenden europäischen Studiengruppen zum Konsortium ALL Together-ATC zusammen und erarbeiteten ein gemeinsames Behandlungsprotokoll.


Wie helfen Biomarker?

Jeder Tumor hat seinen eigenen, molekularen Fingerabdruck. Die sogenannten Biomarker, die sich in Blut- und Gewebeproben bestimmen lassen, geben Aufschluss über spezielle Eigenschaften des Tumors. Auf dieser Basis konnten beim bösartigen Hirntumor Medulloblastom drei verschiedene Risikogruppen identifiziert und die Therapien entsprechend angepasst werden. Auch bei akuter lymphatischer Leukämie (ALL) wird die Zelle molekulargenetisch identifiziert, um das Risiko zu bestimmen und die Behandlung individuell auf das Kind anzupassen.



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