Begreifen, um zu verstehen
Auch in der Unfallchirurgie bietet der 3D-Druck enormes Potenzial. Operationen lassen sich besser planen, Eingriffe kürzer und schonender gestalten, Ergebnisse werden präziser.
Text: Ingrid Kupczik, Fotos: Axel Kirchhof
DIE VISION: INDIVIDUELLE FERTIGUNG VON KNOCHEN IN DER UNFALLCHIRURGIE
Wissen: Kürzere Operationszeiten reduzieren die Infektionsgefahr
Forschen: Mit 3D-Modellen Knochendefekte ersetzen
Heilen: Optimierte Versorgung, höhere Compliance, besseres Therapieergebnis
Mit dem 3D-Druck können wir hochkomplexe Frakturen und Achsfehlstellungen deutlich besser als bisher darstellen“, sagt Dr. Tobias Dust und nennt als Beispiel die Versorgung eines komplizierten Bruchs des Schienbeinkopfs oder des Ellenbogengelenks. Das gedruckte 3D-Modell der Fraktur ermöglicht dem Operateur ein haptisches Verständnis für die Pathologie, das bisher nur zweidimensional mit Röntgen oder CT möglich war. „Dadurch steigt das Verständnis der Chirurg:innen für das Ausmaß der Verletzung, und sie können die Operation viel genauer planen.“ Mit 3D-Druck lassen sich zudem individuelle Bohr- und Sägelehren für die Führung der OP-Instrumente herstellen. „Die Operation wird dreidimensional digital geplant; jeder Schnitt und jede Schraube stehen im Vorfeld fest. Die Gefahr, beim Eingriff Blutgefäße und Nerven zu verletzen, wird somit deutlich verringert, die Ergebnisse werden genauer.“
Geringere Infektionsgefahr durch kürzere OP-Zeiten
Ein weiteres Plus: „Die Operationszeit wird verkürzt, damit sinkt das Patient:innenrisiko ebenfalls“, so Experte Dust. Er verweist auf entsprechende Erfahrungen bei komplexen Achsumstellungen am Ellenbogengelenk, die bisher schwierig zu planen waren und häufige Anpassungen während des Eingriffs erforderlich machten. In einem vielfach geförderten Projekt wird nun untersucht, in welchem Maß die Planungsgenauigkeit und das funktionelle Ergebnis gesteigert und die OP-Zeit verringert werden können – zum Wohle der Patient:innen: „Je länger eine Wunde offen ist, desto größer die Infektionsgefahr“, so Dust. Bei den Patient:innen kommen die 3D-Nachbildungen ohnehin gut an: „Sie können ihren Defekt oder ihre Fehlstellung buchstäblich begreifen und entwickeln eine bessere Vorstellung, warum sie wie operiert werden. Das erhöht die Compliance.“
3D-Modelle von komplexen Knochenbrüchen könnten in Zukunft auch jungen Assistenzärzt:innen und Medizinstudierenden als Trainingsobjekte dienen: Wie muss ich die Patient:innen lagern? Welchen Zugang nehme ich am besten? Wo setze ich welche Schraube? Der Nutzen dieses Probehandelns wird aktuell in einer weiteren Forschungsarbeit ergründet. Fachübergreifend wurde im UKE das Universitäre Centrum für 3D-Druck gegründet. Hier tauschen sich Disziplinen aus und bündeln ihre Expertise.
Alles Einzelstücke
Beim 3D-Druck werden auf Grundlage dreidimensionaler Bilddatensätze aus CT oder MRT patient:innenspezifische Modelle hergestellt. So kann die Pathologie originalgetreu nachgebildet werden. Je nach Drucktechnik wird das Modell zum Beispiel Schicht für Schicht mit einem thermoplastischen Kunststofffaden, einem Filament, aufgebaut. Nach dem Aushärten steht der künstliche Gelenkknochen als Anschauungs-, Planungs- und Lehrobjekt zur Verfügung.
Weitere Informationen zur experimentellen Forschung in der Unfallchirurgie finden Sie unter www.uke.de/3d-unfallchirurgie
Vorheriger Beitrag:
3D-Druck schon für Neugeborene
Nächster Beitrag:
Frühwarnung vor steigendem Hirndruck
Übersichtseite
Zurück zur Übersicht