3D-Druck schon für Neugeborene
Das ist keine Science-Fiction, sondern im UKE der erste Schritt in der kieferorthopädischen Versorgung von Babys, die mit einer Spalte im Lippen-Kiefer-Gaumenbereich auf die Welt kommen. Ein Segen für die Kinder – und ihre Eltern.
Text: Ingrid Kupczik, Fotos: Axel Kirchhof
DIE VISION: BABYS DEN START INS LEBEN ERLEICHTERN
Wissen: Bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalte haben sich Trinkplatten bewährt
Forschen: 3D-gedruckte Platten bieten zusätzliche Vorteile
Heilen: Meistens klappt schon der erste Trinkversuch des Babys
Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte gehört zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen: eines von 500 Kindern ist betroffen. Mund und Nasenraum sind bei ihnen nicht voneinander getrennt. Die Ursachen sind noch nicht abschließend geklärt, die Folgen sind gravierend: Durch den Spalt werden Trinken, Atmen, Schlucken und Lautbildung stark beeinträchtigt. Die Babys müssen über eine Magensonde ernährt werden, bis sie eine Trinkplatte erhalten, die den Gaumen verschließt. „Diese Art der Versorgung hat sich bewährt. Mit modernster Bildgebung und 3D-Druck wird sie aber noch schonender, effektiver und sicherer“, erklärt Dr. Lisa-Marie Northoff, Zahnärztin in der Poliklinik für Kieferorthopädie im Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZMK). Gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Albert Hülsbeck leitet sie das Projekt „3D-gedruckte Trinkplatten“, das in enger Kooperation mit der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) des UKE durchgeführt wird. Ein Ziel des Projekts ist es, Vor- und Nachteile der beiden Verfahren wissenschaftlich abzugleichen.
„Bereits kurz nach der Geburt können wir den Spaltbereich mit einem Intraoral-Scanner sehr präzise digital erfassen“, so Dr. Northoff. Diese Minikamera für die Mundhöhle besitzt einen daumendicken Kamerakopf und liefert eine dreidimensionale optische Abformung des Gaumens. „Anhand der Daten designen wir digital eine Platte in 3D und drucken sie aus.“ Ergebnis: Die Platte aus Kunststoff passt perfekt in den Gaumen, sie saugt sich sogar ein wenig fest, denn das Material wird mit der Körpertemperatur weicher und formbar. „Daher ist meist deutlich weniger oder gar kein Haftkleber im Vergleich zur konventionellen Platte erforderlich.“
3D-Druck sorgt bei Eltern für Entspannung
Auch die herkömmliche Trinkplatte ist eine enorme Hilfe für betroffene Säuglinge, denn sie verhindert ebenfalls, dass die Milch vom Mund zur Nase und herausläuft. Doch es gibt einen Nachteil: „Die Abformung wird mit einer elastischen Abformmasse gemacht, und es besteht ein gewisses Risiko, dass diese Masse in den Rachen gerät und die Atemwege blockiert“, berichtet Expertin Northoff. Deshalb sei stets ein:e Mediziner:in dabei, um die Vitalfunktionen zu überwachen. Bei 3D-gedruckten Platten ist diese Kontrolle nicht nötig. „Das ist viel entspannter für die Eltern; viele sind ja schockiert und ohnehin sehr besorgt, weil sie wissen, dass ihr Baby früh operiert werden muss.“
Der schönste Moment für die Eltern – und auch für Lisa-Marie Northoff und Albert Hülsbeck immer wieder anrührend – ist der erste Trinkversuch des Neugeborenen, nachdem ihm die Platte für den Gaumen eingesetzt wurde. „Meist klappt es recht schnell.“ Ab diesem Zeitpunkt können die Babys eigenständig trinken, oft dürfen sie im Anschluss nach Hause. Etwa sechs bis zwölf Monate später werden sie dann operiert, oft auch mehrere Male, damit der Spalt funktionell und ästhetisch geschlossen wird. Bis zur ersten OP wachsen die Trinkplatten mit: Alle paar Wochen erhalten die kleinen Patient:innen angepasste Modelle – dank 3D-Druck zu hundert Prozent mundgerecht.
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