Science-Fiction im OP
Ein Eingriff am schlagenden Herzen, nur mit örtlicher Betäubung, war vor einigen Jahren noch undenkbar. Doch die Medizintechnologie entwickelt sich rasend schnell und wird zunehmend digital.
Text: Silvia Dahlkamp, Fotos: Axel Kirchhof
DIE VISION: MIT VR, KI UND ROBOTIK KRANKE HERZEN REPARIEREN
Wissen: Kathetergestützte Verfahren sind eine Alternative zu offenen Herzoperationen
Forschen: Hightech-Methoden auf dem Prüfstand
Heilen: Maßgeschneiderte Therapien für alle Herzpatient:innen
Ein Hightech-Hybrid-OP im Herz- und Gefäßzentrum im Mai 2022: Ein Team um Herzchirurg Priv.-Doz. Dr. Andreas Schäfer und Kardiologe Priv.-Doz. Dr. Moritz Seiffert bereitet einen Herzklappenersatz vor. Soweit Routine. Doch dieser Eingriff wird anders verlaufen, das sieht man auf den ersten Blick. Denn Schäfer trägt eine Virtual-Reality-Brille, wie man sie von Computerspielen und aus Science-Fiction-Filmen kennt. Sie wird jeden seiner Handgriffe an Kolleg:innen in ganz Deutschland übertragen, die während der Prozedur live zugeschaltet sind. Eine Premiere im UKE.
Homeoffice und Herzoperationen, wie passt das zusammen? Vor Corona war Telearbeit die Ausnahme. Im Lockdown sind Meetings per Video-Call nicht nur in der Wirtschaft immer selbstverständlicher geworden. Inzwischen vernetzen sich auch Chirurg:innen während einer OP. Kolleg:innen stehen im Livestream mit Rat und Hilfe zur Seite, verschicken Daten per Mausklick, passen auf, damit nichts übersehen wird, während eine oder einer das Skalpell am OP-Tisch führt.
Kolleg:innen verfolgten Eingriff fernab des UKE am Bildschirm
„Wie können wir auf dem neusten Stand der Technik bleiben?“, fragte sich auch Herzchirurg Schäfer, als die Corona-Inzidenzen stiegen und Außenstehende Kliniken kaum noch betreten konnten, um größtmöglichen Patient:innenschutz zu gewähren. Gleichzeitig wurden Kongresse abgesagt, auch Fortbildungen für Operateure fanden kaum noch statt, Medizintechniker:innen konnten aktuelle Neuentwicklungen nicht mehr vor Ort vorführen. „Wir wollten selbstverständlich trotzdem up to date bleiben und keine Fortschritte verpassen“, sagt Schäfer. So entstand die Idee von der VR-Konferenz live aus dem Operationssaal. Bei dem Eingriff im Mai setzte das Hamburger Team ein neues Verschlusssystem in eine Arterie ein, das die Wundheilung weiter verbessern soll. Da es sich um die erstmalige Anwendung des Systems handelte, war das Interesse bei den Kolleg:innen anderer Kliniken groß, viele verfolgten den Eingriff an Bildschirmen fernab des UKE.
Computerbrillen sind selbstverständlich nicht neu. Die Idee kommt ursprünglich aus der Industrie. Dort werden sie eingesetzt, etwa um große Maschinen zu reparieren. Da ein:e Spezialist:in mitunter jedoch viele Flugstunden entfernt ist, setzen Techniker:innen vor Ort die Brille auf und schalten mit ihrer Hilfe weitere Expert:innen per Internet zu. Diese können sehen, was die Kolleg:innen zeigen, und aus der Ferne helfen, das jeweilige Problem zu lösen. So oder ähnlich soll es künftig auch bei hochkomplexen Operationen funktionieren. Internationale Hard- und Software-Unternehmen arbeiten seit einiger Zeit an der Weiterentwicklung sogenannter HoloLens-Brillen. Dabei handelt es sich um Mixed-Reality-Brillen, die es den Nutzer:innen erlauben, interaktive 3D-Projektionen in der direkten Umgebung darzustellen. Über diese Brillen können sich die Spezialist:innen per superschneller 5G-Leitung vernetzen und gegenseitig unterstützen – etwa bei schwierigen chirurgischen Eingriffen. Schäfer: „Auf diese Weise können Komplikationen verringert werden.“
Helm mit hochauflösender Kamera filmt OP
Beim UKE-Versuchslauf im Mai trug Chirurg Schäfer eine Art Helm, in der eine hochauflösende Kamera eingebaut war. Sie war auf seine Blickachse ausgerichtet und filmte seine Hände. Die Aufnahmen wurden unmittelbar auf eine Art Desktop im Inneren übertragen, an dessen linkem Seitenrand gleichzeitig die Monitore aus dem OP eingeblendet wurden: mehrdimensionale CT- und Röntgenbilder und sämtliche Vitalfunktionen des Patienten wie Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung. „Es ist, als schaue man auf einen Computerbildschirm, auf dem gleichzeitig mehrere Fenster geöffnet sind“, sagt Schäfer. Die externen Zuschauer:innen konnten sich jederzeit zuschalten und mit dem Operateur Face-to-Face chatten.
Defekte Herzklappen kathetergestützt ersetzen
Priv.-Doz. Schäfer ist Spezialist für den Austausch defekter Herzklappen. Während der chirurgische Aortenklappenersatz die Therapie der Wahl bei jüngeren Patient:innen ist und größtenteils minimalinvasiv, mit einer nur teilweisen Öffnung des Brustbeins, durchgeführt wird, werden Herzklappen bei älteren Patient:innen zunehmend kathetergestützt und unter örtlicher Betäubung eingesetzt. Dabei schiebt der Implanteur eine biologische Prothese von der Oberschenkelarterie über die Hauptschlagader bis in das Herz, wo sie die kranke Klappe ersetzt. Nach 30 Minuten ist die schonende und komplikationsarme Prozedur beendet, die rund 500 Mal jährlich im Herz- und Gefäßzentrum angewandt wird.
OP mit VR-Brille bislang nur Probelauf
„2007 haben wir das TAVI genannte Verfahren erstmals im UKE durchgeführt“, sagt Andreas Schäfer. Das ist in Zeiten der Digitalisierung eine Ewigkeit, die Methode wurde in der Zwischenzeit technisch vielfach optimiert. Die Operation mit der Virtual-Reality-Brille jetzt war zwar nur ein Probelauf, vielleicht aber auch der Start in eine neue Zukunft. „Alle Kolleg:innen waren begeistert von den gestochen scharfen Live-Bildern. Ich kann mir vorstellen, dass die Brille Schule machen wird“, so Schäfer, der auch in die studentische Lehre eingebunden ist. „Künftig könnten Operationen wie diese per VR-Brille in Echtzeit in Hörsäle übertragen werden, damit Studierende virtuell mit am Tisch stehen.“ Und auch den ökologischen Aspekt hat der Herzchirurg im Blick: „Lange Reisen zum Zweck der OP-Demonstration oder des Kennenlernens neuer Techniken könnten zum Teil unnötig werden, wenn den Spezialist:innen im Operationssaal per Laptop auf die Finger geschaut werden kann.“
Weitere Informationen zu den Forschungsgruppen der Herz- und Gefäßchirurgie finden Sie unter www.uke.de/herzforschung
Das neue Universitäre Herz- und Gefäßzentrum
Künstliche Intelligenz, Bildfusion, Robotik, Augmented und Virtual Reality spielen auch im neuen Universitären Herz- und Gefäßzentrum eine besondere Rolle. Anfang 2024 geht das hochmoderne Gebäude, das gerade für rund 200 Millionen Euro auf dem UKE-Campus errichtet wird, in Betrieb. Es enthält bis zu 388 Betten, neun Hightech-OP-Säle, neun hochmoderne Herzkatheterlabore und ein kardiovaskuläres Bildgebungszentrum unter anderem mit CT- und MRT-Geräten. Das Ziel: Eine hochspezialisierte Versorgung für alle Altersgruppen, vom Baby bis zum alten Menschen, unter Einsatz von innovativen Spitzentechnologien. Bereits heute arbeiten Kardiolog:innen, Herz- und Gefäßchirurg:innen in interdisziplinären Teams eng zusammen, entwickeln maßgeschneiderte Therapien für rund 10.000 stationäre und 18.000 ambulante Patient:innen pro Jahr. www.uke.de/2050
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