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Die Medizin der Zukunft beginnt heute

Komplexe Gehirnoperationen per Telemedizin; Tabletten, die aus dem 3D-Drucker kommen; Avatare, die Krankheitsdaten speichern und Therapien vorschlagen – die Zukunft der Medizin beginnt jetzt. Prof. Dr. Blanche Schwappach-Pignataro, Dekanin der Medizinischen Fakultät, Prof. Dr. Christian Gerloff, seit 1. Januar 2023 neuer Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKE, und sein Vorgänger Prof. Dr. Burkhard Göke werfen einen Blick auf Gegenwart und Zukunft der Medizin im UKE.

Von Uwe Groenewold

DIE VISION: DIE MEDIZIN DER ZUKUNFT AKTIV GESTALTEN

Wissen: Im UKE arbeiten viele kluge Köpfe

Forschen: Verständnis vieler Erkrankungen nimmt dank Forschung rasant zu

Heilen: Digitalisierung und Präzisionsmedizin als Schlüssel für neue Therapien

Was bedeutet Medizin der Zukunft für Sie?


Prof. Schwappach-Pignataro
: Darunter verstehe ich eine daten- und evidenzbasierte Medizin, die die Patient:innen selbstbestimmt über ihre Behandlungen mitentscheiden lässt und die Gesundheit des Planeten nicht außer Acht lässt.

Prof. Göke: Wir verstehen immer besser, wie Krankheiten entstehen und sich entwickeln und welche Schäden sie bei den betroffenen Menschen anrichten können. Dieses immer präzisere und genauere Verständnis der Krankheitsentstehung muss einmünden in neue Therapien. Die Medizin der Zukunft bereitet den Weg, dass wir individuell mit neuen Möglichkeiten behandeln, die wir im Moment nur erahnen können.

Prof. Gerloff: Das Wichtigste für mich an der Medizin der Zukunft sind die Patient: innenzentriertheit und die Präzisionmedizin, das heißt, die individualisierte Durchführung von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen. Da kommen wir nur hin, wenn wir große Datenmengen systematisch auswerten. Dafür brauchen wir Digitalisierung.

Welche Bedeutung kommt der Forschung zu?


Prof. Schwappach-Pignataro
: Der sogenannte Translationszyklus umfasst verschiedene Arten der Forschung. Klinisch tätige Ärzt:innen machen ihre Beobachtungen am Krankenbett und artikulieren aus dem Verständnis ihres Fachgebiets heraus neue Bedarfe. Daraus entstehen Forschungsfragen, etwa wie Krankheiten sich entwickeln, was sie verursacht. Aus den gewonnenen Erkenntnissen ergeben sich bestenfalls klinische Studien, in denen bestimmte Interventionen – pharmakologische, therapeutische, bewegungsbasierte oder psychotherapeutische – getestet werden können. Dann kann man sehen, was sich davon in die Klinik überführen lässt. Und daraus entstehen wieder neue Fragen.

Prof. Dr. Blanche Schwappach-Pignataro
Prof. Dr. Blanche Schwappach-Pignataro

ist Dekanin der Medizinischen Fakultät. Die Molekularbiologin und gebürtige Hamburgerin war nach verschiedenen Stationen im In- und Ausland zuvor Institutsleiterin und Forschungsdekanin in Göttingen.


Zurück zur Patient:innenzentrierung und Präzisionmedizin: Inwiefern ist die Digitalisierung wichtig für eine bessere Versorgung der Patient:innen?


Prof. Gerloff:
Digitalisierung ist zu einem essenziellen Instrument der Medizin geworden, sie ist ein Bindeglied und auch eine Quelle von Informationen. Bei vielen Erkrankungen sind keine klinischen Studien mit zehntausenden Patient:innen mehr erforderlich. Bei der Spinalen Muskelatrophie etwa wissen wir dank digital unterstützter molekularbiologischer Analyse genau, welches Gen geschädigt ist und welche Konsequenzen dies hat. Hieraus ist eine Gentherapie entstanden. Es reichen dann relativ kleine Fallzahlen für eine klinische Studie, um die Anwendbarkeit und Verträglichkeit dieser Therapie in der Praxis zu beweisen. Das ist Präzisionsmedizin. Aus der täglichen Diagnostik und Therapie unserer Patient:innen sammeln wir Milliarden Datenpunkte, deren Auswertung ohne digitale Prozesse gar nicht denkbar ist. Heute ist jedes medizinische Gerät Teil der IT-Infrastruktur, die Digitalisierung ist verschmolzen mit der Medizin.

Brauchen wir also künftig nicht mehr Mediziner:innen, sondern mehr IT-Expert:innen, die diese Vielzahl an Daten auslesen können?


Prof. Gerloff
: Es muss sich die Balance halten. Die Versorgung der Patient:innen erfolgt selbstverständlich weiterhin durch Menschen, die in der Medizin ausgebildet sind. Doch es ist naive Utopie zu glauben, dass man mit einer kleinen Gruppe von Fachkräften im Bereich elektronischer Datenverarbeitung in das neue Zeitalter kommen kann – in den IT-Bereich muss kräftig investiert werden.

Prof. Dr. Christian Gerloff

ist seit dem 1. Januar 2023 Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKE. Zuvor leitete er seit 2006 die Klinik für Neurologie im UKE und war seit 2013 Stellvertretender Ärztlicher Direktor.


Im Magazin wissen+forschen geht es unter anderem um 3D-Druck, Künstliche Intelligenz, Robotik und personalisierte Präzisionsmedizin. Wo hat das UKE – auch unabhängig von den genannten Schwerpunkten – seine Stärken?


Prof. Schwappach
: Eine grundsätzliche Stärke des UKE liegt darin, dass Bereiche und Personen, die am beschriebenen Translationszyklus arbeiten, sich eng und fächerübergreifend austauschen. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass in dem im Bau befindlichen Hamburg Center of Translation Immunology (HCTI) die Interaktionen zwischen Immunsystem, Entzündungsreaktionen und verschiedenen Organen intensiv beforscht werden. Das ermöglicht uns ein besonderes Verständnis davon, wie sich ein Entzündungszustand in verschiedenen Organen als ähnliche Krankheit des ganzen Körpers äußert. Diese Vogelperspektive ist nur durch intensives Zusammenwirken von molekular orientierten Grundlagengruppen, klinisch Forschenden und weiteren Wissenschaftler:innen wie Data Scientists zu erreichen.

Prof. Göke: Das UKE hat Ziele und bestimmte ethische Vorstellungen davon, wie wir Medizin betreiben. Diese lassen sich zusammenfassen unter dem Begriff „patient first“. Wir haben die Patient:innen im Blick, alle neuen Methoden wie 3D-Druck, Künstliche Intelligenz und Robotik sind letztlich nur sinnvolle und nützliche Werkzeuge. In der Zukunft kann mit ihrer Hilfe eine Art persönlicher Avatar entstehen, in dem Diagnosen, Bildgebung und weitere Daten hinterlegt sind. Mit dieser modernen Technologie lassen sich sehr passende, zielgenaue und rasche Behandlungsmöglichkeiten für viele Erkrankungen finden. Diese Avatarisierung der Patient:innen kann ein unterstützendes Element sein, dass alle Menschen in diesem Prozess optimal versorgt und auch mitgenommen werden.

Prof. Gerloff: Im UKE werden Wissen und Technik sehr schnell praktisch umgesetzt. Seit 2009 steuern Roboterwagen unterirdisch die Versorgung im Klinikum, seit vielen Jahren arbeiten wir mit OP-Robotern, unsere Neuroradiolog:innen unterstützen Kolleg:innen in vielen Ländern der Welt per Telemedizin bei komplexen Eingriffen.


Können Sie weitere konkrete Projekte benennen?


Prof. Gerloff: Unter Leitung unserer Apotheke steht ein Projekt zum 3D-Druck von Medikamenten. Bei Patient:innen variieren jeden Tag Gewicht, Nieren- oder Leberwerte, sie benötigen eigentlich täglich eine angepasste Dosis. Viele Medikamente gibt es nur in Tablettenform. Tabletten mit individuellem Wirkstoffgehalt können jetzt mit dem 3D-Drucker hergestellt werden. In einer klinischen Studie prüfen wir die Effektivität und Wirksamkeit bei Parkinsonpatient:innen – das ist praktisch ein Muster für die Präzisionsmedizin von morgen. Ein weiteres Beispiel: Mithilfe Künstlicher Intelligenz haben wir ein Prognoseprogramm entwickelt, dass bei neurologischen Intensivpatient:innen bis zu 24 Stunden im Voraus erkennen kann, ob schwerwiegende Komplikationen für das Gehirn drohen. Ein Assistenzsystem für eine breite Anwendung befindet sich in der Erprobung. Auch das gehört zur Medizin der Zukunft: Assistenzsysteme, die bei Fehlervermeidung und Individualisierung der Therapie helfen.

Die Medizin der Zukunft im UKE basiert auch auf Verbesserungen der Infrastruktur. Seit 20 Jahren wird intensiv gebaut auf dem Campus, 2015 wurde der Zukunftsplan 2050 angestoßen. In welchem Zusammenhang stehen Bautätigkeiten und die Zukunft der Medizin?


Prof. Göke:
Wir haben nie nur den Plan gehabt, dass wir alte Gebäude durch neue ersetzen oder lecke Dächer durch dichte Dächer. Die Medizin entwickelt sich – dramatisch, schnell, dynamisch; ganz besonders hier auf dem Campus mit den vielen begeisterten Forschenden. Wir wollen neue Gebäude bauen, die ermöglichen, dass die Zukunft der Medizin auch in diesen Bauten stattfinden kann. Was wir da bauen, sind nicht einfach nur neue Gebäude, sondern das sind Beton gewordene Konzepte, mit denen wir in der Lage sind, all den jungen Leuten, die auf den Campus kommen, in der Zukunft beste Arbeitsmöglichkeiten zu garantieren, so dass sie den großen Wechsel in der Medizin nicht nur mitmachen, sondern aktiv gestalten können.

Geht die bauliche Entwicklung schnell genug voran?


Prof. Göke:
Als Bauherr ist man immer unzufrieden und denkt, das müsste alles schneller gehen. Aber in Wahrheit sind wir ziemlich schnell vorangekommen. Wir haben das Kinder-UKE fertiggestellt, die neu Martini-Klinik ist demnächst fertig, ebenso das neue Herz- und Gefäßzentrum und der Campus Forschung II. Ich kenne keinen Campus in Deutschland, der mit dieser Geschwindigkeit so eine Entwicklung durchgemacht hat. Dass jetzt gesellschaftliche und politische Krisen dazu führen, dass Stahl, Bitumen oder andere Baustoffe fehlen, dafür kann hier am Campus niemand etwas. Es besteht kein Zweifel, dass wir die erste Phase des Zukunftsplans erfolgreich fertigstellen werden, auch wenn es ein paar Monate länger dauert, und wir dann umgehend in die Phase zwei starten werden.

Ärztlicher Direktor UKE, Prof. Burkhard Göke
Prof. Dr. Burkhard Göke

war vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2022 Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKE. Der Gastroenterologe war zuvor Klinikleiter an der LMU München.

Welche besonderen Chancen bietet das UKE für die Medizin der Zukunft?


Prof. Schwappach: Das UKE hat in den vergangenen Jahren eine große Breite an klinischer Forschung, Grundlagenforschung und Gesundheitssystemforschung erreicht. Wenn wir diese auf bestimmte Fragestellungen und Erkrankungen fokussieren, sollte relativ schnell ein deutlicher Fortschritt für große Patient:innengruppen mit Krankheiten, die in der modernen Gesellschaft häufig auftreten, zu erreichen sein. Eine besondere Chance bietet der Mehrwert, den die Metropolregion wissenschaftlich aufzuweisen hat, etwa mit den außeruniversitären Partnern aus der Grundlagenforschung wie dem DESY und den beiden Leibniz-Instituten im Bereich der Infektionsforschung. Mit diesen Einrichtungen arbeiten wir eng und vertrauensvoll zusammen und wollen den Mehrwert sowohl für das UKE als auch die Metropolregion künftig weiter stärken.

Prof. Göke: Hamburg ist eine attraktive Stadt, die viele helle Köpfe anzieht. Das gilt für das UKE umso mehr, weil die Infrastruktur, die wir entwickelt haben, für Forschungsarbeit und für moderne klinische Arbeit hervorragend ist. Wer Interesse hat, etwas zu entwickeln, zu entdecken und wer etwas bewegen will, der sollte ans UKE kommen.

Welche Herausforderungen gibt es für das UKE zu meistern, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein?


Prof. Gerloff:
Es gibt einen enormen Wettbewerb um die klügsten Köpfe und um die enthusiastischsten und begeistertsten Mitarbeiter:innen. Hamburg ist eine attraktive Metropolregion und das UKE eine dynamische und sich schnell entwickelnde Gemeinschaft. Wir haben uns in den vergangenen 20 Jahren schon einmal komplett neu erfunden, uns seitdem klinisch – gemessen am Patient:innenaufkommen – verdoppelt und wissenschaftlich – gemessen an den Drittmitteln – vervierfacht. Jeder Euro, der in Gesundheit und Lebensqualität investiert wird, ist ein guter. Und jeder, der sich in dem Bereich engagiert und von der Arbeit abends nach Hause kommt, weiß: Es fühlt sich gut an, etwas Sinnvolles getan zu haben. Diese Botschaft müssen wir nach außen tragen.


Umfassende Informationen zur Forschung im UKE finden Sie unter www.uke.de/forschung

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