Vom Labor ans Krankenbett
Die translationale Medizin, also die klinisch ausgerichtete Forschung, hat im UKE einen hohen Stellenwert. Was es mit dem Wissenstransfer vom Labor ans Krankenbett auf sich hat und warum eigeninitiierte klinische Studien so wichtig sind, erklären Prof. Dr. Götz Thomalla, Prodekan für Klinische Forschung und Translation, und Dr. Silke Schrum, Leiterin des Prodekanats und Geschäftsführerin der UKE-Tochter MediGate, im Interview.
Interview: Ingrid Kupczik, Fotos: Axel Kirchhof, Anja Meyer
Was steckt hinter dem Begriff „Translation“?
Prof. Dr. Götz Thomalla: Translation beschreibt den Weg von der Grundlagenforschung in die klinische Forschung, nach dem Motto „From Bench to Bedside“, von der Laborbank bis ans Patient:innenbett. Es bedeutet, dass relevante Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in klinisch anwendbares Wissen übersetzt und in neue diagnostische, therapeutische und präventive Verfahren für die Anwendung an Patient:innen übertragen werden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Prof. Thomalla: Forschende entwickeln ein vielversprechendes Medikament und testen es erst an Zellen, dann an Mäusen. Von 100 Medikamenten bleibt im Schnitt eines übrig, das den Weg in die klinische Forschung, also in Studien am Menschen schafft. Auch Behandlungsformen oder Medizinprodukte werden in klinischen Studien auf Leistung, Wirksamkeit, Sicherheit und Nutzen geprüft.
… und was ist daran neu?
Prof. Thomalla: So neu ist der Begriff in den Humanwissenschaften nicht, er wurde schon Ende der 70er-Jahre in den Pflegewissenschaften verwendet, im Sinne der Übersetzung von Forschungsergebnissen in die Pflegepraxis. Hinsichtlich einer exakten Definition konkurriert die „Translation“ aber bis heute mit Begriffen, die für teilweise recht ähnliche Ansätze stehen, etwa evidenzbasierte Medizin, klinische oder angewandte Forschung. Der translationale Gedanke steht für die zügige Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis. In Deutschland haben wir eine exzellente medizinische Grundlagenforschung; bei der Übertragung der Ergebnisse in die Anwendung und die Patient:innenversorgung gibt es allerdings noch Raum für Optimierung. Wir am UKE haben das Ziel, innovative Behandlungsansätze noch schneller als bisher in die klinische Praxis bringen.
Dr. Silke Schrum: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die rasche Überführung von Erkenntnissen aus der molekularen und klinischen Forschung in die Anwendung am Menschen ist. Nur so konnten in kürzester Zeit wirksame Tests, Impfstoffe, Therapien, Schutzmaßnahmen entwickelt werden. In den Jahren 2020 bis 2022 haben Forschende des UKE die Ergebnisse von mehr als 250 Studien zum Themenkomplex Corona in namhaften Fachjournalen publiziert. Damit haben sie auch international erheblich zum Wissensgewinn, zur Optimierung der Behandlung und damit zum Wohl der Patient:innen beigetragen.
Wie wichtig sind eigene Studien für das UKE?
Prof. Thomalla: Eigeninitiierte Studien, sogenannte Investor Initiated Trials, sind für uns besonders wichtig und wertvoll, denn sie gehen von den Forschenden des UKE aus, die die relevanten Probleme und Fragestellungen aus ihrer praktischen Erfahrung kennen. Diese klinischen Studien sind akademisch motiviert; dahinter steckt kein kommerzielles Interesse etwa der Pharmabrache wie bei Auftragsstudien oder -prüfungen. Diese eigeninitiierten Studien werden zumeist aus öffentlichen Förderungen zum Beispiel der DFG, des BMBF oder der EU finanziert.
Werden viele solcher eigenen Studien initiiert?
Prof. Thomalla: In vielen Bereichen sehen wir täglich einen klinischen Bedarf, für den sich keine Pharmafirma interessiert. Das betrifft zum Beispiel die Therapieoptimierung bei Krankheiten, die sich finanziell „nicht lohnen“, da sie extrem selten sind, beispielsweise Stoffwechselkrankheiten bei Kindern wie NCL, die sogenannte Kinderdemenz. Betroffen sind jedoch auch weit verbreitete Erkrankungen wie der Schlaganfall, für die es etablierte Therapiekonzepte gibt. Sie sind kommerziell uninteressant, da sie nicht mehr geschützt und nicht patentierbar sind. Dies gilt zum Beispiel für die Neuro-Rehabilitationsforschung, wenn es um interventionelle Verfahren wie die Neurostimulation geht. Solche Studien muss man selbst machen. Wir machen sie.
Wie gelangen Forschungsergebnisse ans Krankenbett?
Prof. Thomalla: Das A und O für die Nutzbarmachung von Erkenntnissen aus der klinischen Forschung ist der Wissenstransfer: Er ist die Fortschreibung der Translation und sorgt für die Anwendung in der Gesellschaft. Außerdem ist er die vierte Säule der Universitätsmedizin, neben der Patientenversorgung, der Forschung und der Lehre – und ein Alleinstellungsmerkmal der Universitätsmedizin. Es geht aber nicht nur darum, beispielsweise ein neues Medikament zu entdecken und in einer Studie zu zeigen, dass es funktioniert. Darüber hinaus muss das Arzneimittel auch verfügbar gemacht werden.
Was ist dafür erforderlich?
Dr. Schrum: Der Aufwand ist beträchtlich. Das geistige Eigentum der Forschenden muss im ersten Schritt zum Beispiel über Patente und Schutzrechte gesichert werden. Dessen Verwertung kann dann durch die Auslizensierung an eine Firma oder die Gründung eines eigenen Start-up erfolgen. Das UKE-Tochterunternehmen MediGate stellt die Expertise und Strukturen zur Verfügung, um diesen Prozess voranzutreiben. Dort bieten wir den Wissenschaftler:innen eine professionelle Unterstützung im Technologietransfer, im Vertragsmanagement und in der Förderberatung bei klinischen Studien. Das UKE hat so die Rahmenbedingungen geschaffen, um erfolgreich medizinische Innovationen und neueste Therapieansätze in die klinische Anwendung zu bringen.
Die regulatorischen Hürden sind hoch. Wirkt das nicht abschreckend?
Dr. Schrum: In der Tat sind die gesetzlichen Anforderungen mittlerweile immens, und niemand kann erwarten, dass die Forschenden jedes Detail kennen. Aus diesem Grund wurde 2023 das Clinical Trial Office, das CTO, als weitere Komponente des Prodekanats für Klinische Forschung und Translation eingerichtet und ergänzt komplementär das Qualitätsmanagement für Klinische Forschung und Translation. Neben der Beratung zu den operativen Anforderungen und der Umsetzbarkeit bietet das CTO auch administrative Unterstützung beim Aufsetzen und der Durchführung klinischer Studien an. Unser längerfristiges Ziel ist es zudem, ein mobiles Studienteam aufzubauen und perspektivisch innovative Strukturen und neue Organisationsformen für klinische Studien zu entwickeln.
UKE leitet aktuell 19 klinische Studien
Das UKE hat 2021 das Prodekanat für Klinische Forschung und Translation eingerichtet. Aufgabe des Prodekanats ist es, die translationale Forschung und damit die klinisch Forschenden am UKE gezielt zu stärken und zu unterstützen. Die Forschung am UKE umfasst alle klinischen Bereiche. Derzeit führt das UKE als Sponsor, der die Gesamtverantwortung für eine klinische Studie trägt, 19 Prüfer-initiierte, nicht kommerzielle klinische Prüfungen durch, 13 davon als nationale klinische Studien. Daneben übernimmt das UKE als nationaler Koordinator Sponsor-Aufgaben in weiteren fünf multinationalen, nicht kommerziellen klinischen Prüfungen. Seit Juli 2024 ist das UKE Teil der Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS-Netzwerk). Im Verbund unterstützen und gestalten die Netzwerkpartner an universitären Standorten gemeinsam Forschungsprojekte und begleiten patientenorientierte klinische Forschung.
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